Zunächst sang die dritte Stimme mit Klavierbegleitung, anschließend die anderen. Hier und
anderswo war ich von dem großen Zeitaufwand betroffen, der durch die Einzelstimmproben
entsteht. Während ein Drittel oder ein Viertel der Klasse die Stimme durchsingt, gähnt,
schwatzt, rempelt der Rest oder stiert einfach vor sich hin. Es werden fast ausnahmslos
Einzelstimmen verwendet. Scheuklappen hindern das Pferd daran, zuviel zu sehen, - und diese
Einzelstimmen sind der Ausdruck von Leseschwächen, weshalb notwendigerweise der Chorist
nur auf seine eigenen Noten fixiert werden muß. Herr Krause stimmte mit mir darin überein,
daß diese Mädchen kaum Noten lesen könnten, obwohl ihr Singen höchst erfreulich war. Alle
Stücke waren unbegleitet. Der a capella - Stil, wie die Deutschen das nennen, durchdringt ihre
ganze Musik. Ihre Motetten, die etwa unseren 'anthems' entsprechen, sind unbegleitet, und die
Vorstellung entstammt der Kirchenmusik, daß in der Schule und sogar im Männer
- Gesangverein die reinsten und kunstvollsten stimmlichen Wirkungen von unbegleiteten
menschlichen Stimmen ausgehen. Das ist umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, daß die
Deutschen Schöpfer der modernen Instrumentalmusik sind und immer noch Sinfonik und
Kammermusik mehr pflegen, als irgendeine andere Nation. Es scheint, als ob ihr besonderes
Interesse am Orchester und an Gesangsstimmen sie zur Teilung beider geführt hat, die sie dann
eher unabhängig voneinander als verbunden bevorzugen. In dieser Schule fand sich dann eine
ahnungslose Anhängerin jener Ziffern- und Buchstaben - Notationen, die Herr Krause so sehr
verdammt. Ein Mädchen lieh mir ihr Exemplar eines Satzes, der gerade vorgetragen wurde; da
bemerkte ich, daß sie mit Bleistift Zahlen (relativ) zu den Noten ihrer Stimme geschrieben hatte,
vermutlich als Lernhilfe. <10>