An einem anderen Tag nahm mich Herr Krause in eine Privatschule für Mädchen im Berliner
Westen mit, in der er unterrichtet. Ich hörte drei Klassen der Altersstufen 8-13. In jeder Klasse
waren 30 oder 40 Schülerinnen. Sie hatten zwei halbe Wochenstunden. Die Zeit wurde für
Übungen aus dem Buch verwendet. Man hörte die Stimmen zuerst immer getrennt, dann
zusammen. Später wurden mehrstimmige Sätze zu drei oder vier Stimmen gesungen, oft sehr
geschmackvoll, wobei Herr Krause mit der Klavierbegleitung Stil, Phrasierung und Ausdruck
angab. Es gab allerdings keine Tafelarbeit, keine Theorie, keine Gehörbildung. Als ich nach
Notendiktaten fragte, antwortete er: "Dafür ist keine Zeit. Abgesehen davon eignet sich das
Notendiktat eher für das Konservatorium als für die Schule."

Die Viktoria-Schule.

Die Viktoria-Schule an der Prinzenstraße ist eine Oberschule für Mädchen. In diesem
prachtvollen Gebäudekomplex sind 800 Mädchen zwischen sieben und achtzehn Jahren. Der
Musiklehrer ist Herr Holländer, der als Komponist in England nicht unbekannt ist. Ich hörte die
oberste Klasse mit etwa 80 älteren Mädchen. Sie probten in einer Halle,in der 500 Mädchen
Platz <9> hatten, deren Decke etwa 25 Fuß hoch war. Der Lehrer saß auf einem Podium am
Klavier, schlug mit der rechten Hand den Takt und mit der Linken hin und wieder korrigierend
einen Ton an. Es wurden Tonleitern gesungen, Intervalle geübt und Fragen zur Theorie gestellt,
die nach dem "Hände hoch"-Verfahren beantwortet wurden. Die vier Stimmen saßen
voneinander getrennt, d.h. zwischen jeder Abteilung waren freie Stühle. Die Stimmen waren
rein und weich und die unterste Stimme erschien mir resonanzreicher, als wir sie in England
vorfinden. Das tiefe A und sogar das G waren rund und gut hörbar. Ich bat Herrn Holländer,
mir die Einübung eines neuen Stückes zu zeigen.