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- 2 - aus Leo Tolstoi: Die Kreutzer-Sonate


eine andere, mir fremde Lage. Unter ihrer Einwirkung glaube ich etwas zu empfinden, was ich in Wirklichkeit gar nicht empfinde, etwas zu verstehen, was ich nicht verstehe, etwas vollbringen zu können, was ich nie vollbringen kann. Ich erkläre mir das damit, daß die Musik ebenso auf den Menschen einwirkt wie das Gähnen oder Lachen: Ich bin nicht schläfrig, aber ich gähne, wenn ich Gähnende ansehe; ich habe keine Veranlassung zu lachen, und lache doch, wenn ich andere lachen höre. Die Musik versetzt mich mit einem Mal und unmittelbar in den Seelenzustand des Komponisten. Meine Seele geht in seiner auf und teilt ihre wechselnden Stimmungen, doch weshalb sie das tut, das weiß ich nicht. Der Komponist, und auch der Komponist der Kreutzersonate, Beethoven also, wußte ja, weshalb er sich in jener Stimmung befand - seine Stimmung hatte ihn zu einer bestimmten Tätigkeit veranlaßt und hatte darum für ihn einen Sinn; für mich aber hatte sie keinen. Und darum bringt mich die Musik nur in eine unbestimmte Aufregung. Wird ein Militärmarsch gespielt, dann ziehen die Soldaten im Gleichschritt einher, und die Musik hat ihren Zweck erfüllt; wird zum Tanz aufgespielt, so tanze ich, und der Zweck der Musik ist auch erreicht; ebenso wenn eine Messe gesungen wurde, während ich das heilige Abendmahl empfing ... aber hier gibt es nur zwecklose Erregung, ohne jede positive Auswirkung. Und darum ist mir die reine Musik so schrecklich, darum übt sie auf mich eine so entsetzliche Wirkung aus.

In China steht die Tonkunst unter Staatsaufsicht, und so muß es auch sein. Kann man etwa gestatten, daß jeder, der Lust dazu hat, einen anderen oder mehrere in künstlichen Schlaf versetzt und dann mit ihm macht, was er will ... und vor allem, daß dies der erste beste sittenlose Mensch tut? Das ist ein furchtbares Mittel in den Händen des ersten Besten...

Nehmen wir z. B. diese Kreutzersonate, das erste Presto und es gibt noch viele solche Stücke; darf man so etwas in einem Salon oder in Konzerten spielen, inmitten dekolletierter Damen, die dem Spiel Beifall klatschen und ihr Gefrorenes essen, um sich dann in ihre Skandalgeschichten zu vertiefen?


Solche Stücke darf man nur unter gewissen wichtigen, bedeutsamen Umständen spielen, oder dann, wenn eine der Musik entsprechende Tat vollbracht werden soll. Aber wenn man einen weder zu dem Orte passenden noch der Zeit entsprechenden Sturm der Gefühle hervorruft, der in nichts zum Vorschein kommt - dann kann das nur verderblich wirken.

Auf mich wenigstens wirkte dieses Stück entsetzlich: es war mir, als offenbarten sich mir neue Gefühle, neue Möglichkeiten, von denen ich bisher keine Ahnung hatte.

,Ja, so ist's! Es ist durchaus nicht so, wie ich früher dachte und lebte . . . sondern so ist's!' schien mir eine innere Stimme zuzurufen.

Was dies Neue aber war, das ich entdeckt zu haben glaubte, darüber vermochte ich mir nicht Rechenschaft abzulegen; aber die Erkenntnis dieses neuen Zustands erfüllte mich mit großer Freude. In diesem neuen Zustand war kein Raum mehr für Eifersucht. Alle Leute, und auch meine Frau und Truchatschewski, erschienen mir nun in ganz anderem Licht. Dieses Stück entführte mich in eine ganz andere Welt, in der es keine Eifersucht gab. Eifersucht und das Gefühl, das sie hervorrief, erschienen mir als etwas so Nichtiges, daß es sich gar nicht lohnte, daran zu denken.


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