Konzert singen
sollte?« Als er verneint, zeigt sie ihm die Stelle, worauf er die Melodie des Chores summt
und sich ihr dabei von hinten nährt. Abrupt unterbricht sie ihn in Einstellung 387 mit
der Frage: »Wer war dieses Mädchen?« Die Musik ist an dieser Stelle wieder unmittelbar
mit der Handlung des Films verknüpft. Hierbei handelt es sich tatsächlich um Musik im
»on«.
Vollständig, ohne Oliviers gebrochene Dreiklänge, erklingt das Thema im Segment 63, als Julie ihre Mutter besuchen will, dann aber doch umkehrt, nachdem sie diese vor dem Fernseher sitzen sieht. Hierbei handelt es sich allerdings um Musik im »off«. Die Musik dient hier wie so oft zuvor als Spiegel von Julies »innerer Welt«. Julies Thema wirkt zwar, in dieser Form gespielt vom Klavier, eher einsam, aber trotz der gebrochenen Molldreiklänge ist es aufgrund der doppelten Punktierung, die an die Themen A und B erinnert, rhythmisch prägnant und raumgreifend. Während der Ambitus des Themenkopfes in der rechten Hand immer größer wird und die Melodie immer weiter aufsteigt, fällt der Bass chromatisch vom H zum Fis ab. Der Ambitus des gesamten Takes hat sich von zwei Oktaven plus Quinte (Takt 2) auf 4 Oktaven vergrößert (Takt 10). Während das Thema, als Olivier es ihr vorspielt, eher vorsichtig, zurückhaltend und suchend klingt, hat es beim zweiten Auftreten (Segment 63; bei der Mutter) schon ganz andere Ausdrucksqualitäten. Hier wird deutlich, dass sich Julie willensstark für die Akzeptanz der Vergangenheit entschieden hat. Das, was das Thema an dieser Stelle gegenüber dem ersten Auftreten schon an Ausdruck und Kraft gewonnen hat, wird in der folgenden Sequenz (vgl. Tabelle 4.7) noch einmal gesteigert.
In dieser Sequenz komponieren Olivier und Julie gemeinsam einen Teil des Konzerts fast wie im Rausch weiter.54
Verbildlicht wird das dadurch, dass kurz bevor Julie in Segment 435a sagt »Wir nehmen
die Trompeten raus«, das Bild unscharf wird. Gleichzeitig erlöschen auch die Stehlampen
im linken hinteren Bildteil, so dass nur noch eine einzige helle Lichtquelle hinter dem
Flügel leuchtet. Diese wirkt im verschwommenen Bild wie das Licht am Ende
eines Tunnels. In diesem Segment ist nun deutlich zu erkennen, dass Julie es
geschafft hat, sich aus ihrer Isolation, die für sie die absolute Freiheit darstellte, zu
befreien. Im dramaturgischen Gesamtaufbau beginnt mit diesem Segment auch der
letzte Teil der Handlung (Teil 5). Die Musik selber ist an dieser Stelle keine
richtige Musik im »on«, da das Thema (vgl. Takte 1–5 in Abbildung 4.9) mit
einer bisher noch nicht erklungenen Bratscheneinleitung (vgl. Abbildung 4.10)
als Orchesterversion erklingt. Jedoch ist sie definiert in der Handlung und im
Bild verankert. Gleichzeitig löst sich die Musik aber von dieser Funktion und
wird zum Synonym für Julies inneres Befinden. Hier wirkt die Musik wieder
polarisierend.
Direkt anknüpfend an die Takte 1–5 des Themas C folgt nun ein weiterer Klavier- bzw. Flötenteil, der eher gegensätzlich zum Thema C konzipiert ist (vgl. Abbildung 4.11).
Dieser Teil, der zuerst vom Klavier gespielt wird, dann aber, in Erinnerung an den Flötenspieler, der vielleicht als Auslöser für Julies Ausbruch, ihren Weg aus |