- 51 -Wollermann, Tobias: Zur Musik in der "Drei Farben"-Trilogie von Krzysztof Kieslowski 
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verändern wird. Der Zuschauer erfährt allerdings nichts Näheres über die beteiligten Personen. Aus diesem Grund kann hier nicht von einer Einleitung gesprochen werden.

Im 1. Teil, der in gewisser Weise als Einleitung fungiert, wird Julie im Krankenhaus gezeigt. Aus ihrer Sicht erscheint der ins Zimmer kommende Doktor verschwommen, und mit einer extrem großen Detailaufnahme von Julie’s Auge, in der sich der Doktor spiegelt, erfährt der Zuschauer vom Tod ihres Mannes Patrice. Auf diese Art und Weise erhält der Zuschauer eine wichtige narrative Information und erlebt aus ungewöhnlicher Nähe ihre Reaktion. Fast noch schlimmer treffen sie die Worte des Arztes: »Ja, ihre Tochter auch.«3

3 Einst. 26
Plötzlich durchbricht ein lautes Klirren4
4 Nach dem Krachen beim Unfall (Einstellung 20) das zweite außergewöhnlich laute Geräusch, dass den Zuschauer erschrecken lässt.
die gedämpft-depressive Stimmung. Julies erster Versuch, dem Geschehen zu entgehen und sich mit den Tabletten aus dem eingeschlagenen Schrank umzubringen, scheitert, da ihr Wille zum Leben zu stark ist. In der dritten Sequenz tritt Olivier zum ersten Mal auf und bringt Julie einen Mini-Fernseher, damit sie sich die Beerdigung ansehen kann. Erst an dieser Stelle erfährt der Zuschauer, dass Julies Mann Patrice ein sehr bekannter Komponist war und ein unvollendetes Konzert zur Vereinigung Europas hinterlassen hat. Ihre Trauer wird noch einmal besonders in der Einstellung 59 deutlich, als sie mit dem Finger vorsichtig den Bildschirm berührt, auf dem gerade der Sarg ihrer Tochter Anna zu sehen ist.5
5 »Der intimste Moment beim Filmen war für mich die Szene im Krankenhausbett, wenn Julie auf dem winzigen Fernseher die zwei Särge anschaut. Nur der Kameramann, die Kamera und ich waren im Raum, der Rest des Teams am Video-Monitor. Das Gefühl der Verlassenheit und der Freiheit – in diesem Augenblick habe ich es ganz stark empfunden.« Juliette Binoche zit. nach dem Presseheft, das zu Blau vom Concorde Filmverleih (München) herausgegeben wurde.
Unter den Anwesenden bei der Beerdigung ist auch Julies Mutter, die in Einstellung 64 zum ersten Mal gezeigt wird. Noch ehe Julie das Krankenhaus verlassen kann, erlebt sie den ersten »Einbruch«.6
6 Auf diese »Einbrüche« wird noch ausführlich im Abschnitt 4.1.3.2 eingegangen.
Kurz bevor eine Journalistin sie mit der unangemessenen Frage behelligt, ob es stimme, dass sie das Konzert komponiert habe, überfällt sie die Musik, getaucht in blaues Licht, wie ein Schub.7
7 Vgl. Einstellung 74
In dieser Einleitung wird dem Zuschauer klar, worum es in dem Film geht: Um eine Frau, die durch einen tragischen Unfall ihren Mann und ihre Tochter verloren hat und versucht, mit diesem Verlust umzugehen. »Julie leistet im Verlauf des Films Trauerarbeit, die Bewältigung des Verlustes ihrer Familie«8
8 (Erbstein1997, S. 48)
und durchlebt in dieser Einleitung die ersten Phasen: zuerst eine Art Lähmung, da sie den Verlust nicht wahrhaben möchte, dann folgt ein Wechselbad aus starken Emotionen (ihr Versuch sich umzubringen und der »Einbruch«).

Im 2. Teil wird ein erster Versuch Julies gezeigt, ihr Leben wieder in den Griff zu bekommen. Sie beschließt, ihr Haus und einen Großteil ihres Besitzes zu verkaufen. Ein paar persönliche Dinge nimmt sie allerdings mit, am auffälligsten ist der blaue Leuchter, den sie später in ihrer neuen Wohnung aufhängen wird. Bevor sie das Haus endgültig verlässt, bittet sie Olivier, abends vorbeizukommen, um mit ihm


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