- 14 -Weyde, Tillman: Lern- und wissensbasierte Analyse von Rhythmen 
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musikalischen Logik, die die innere Struktur von Musik bestimmt und deren Untersuchung das erklärte Ziel seiner Studien war.16

Was sich jedoch zunächst nicht änderte, war die Sicht des Gegenstandes: Ein Musikstück wurde nach wie vor als ein Werk gesehen, das vor allem durch den Notentext gegeben ist. Der Bereich der Kommunikation, der Wahrnehmung und des menschlichen Denkens in und über Musik wurde nicht explizit berücksichtigt. Auch wenn entsprechende Begriffe verwendet werden und gelegentlich von der hörenden Wahrnehmung her argumentiert wird, so spiegeln sich doch diese Aspekte im Aufbau der Theorien kaum wieder.

Moritz Hauptmann konstatiert im Vorwort seiner Schrift Die Natur der Harmonik und Metrik, daß es genug ›Kunstlehren‹ der Musik gebe, er aber eine ›Naturlehre‹ der Musik aufbauen wolle.17

17 Hauptmann (1853, S. III).

Die Methoden der Naturwissenschaften, insbesondere objektive Begriffsbildung, logisch exakte Argumentation und empirische Verifikation von Theorien, wurden jedoch nicht in die Musiktheorie übernommen, auch nicht von Hauptmann. Die theoretischen Konzepte wurden anhand von Beispielen dargestellt, an denen sowohl Begriffsbildung als auch Analyseverfahren demonstriert wurden und die im wesentlichen durch Analogieschlüsse vom Leser verallgemeinert werden mußten. Die Verifikation wurde, wenn überhaupt, durch einige wenige weitere Beispiele versucht.

Auch wenn diese Situation wissenschaftlich unbefriedigend erscheint, kann man doch von Theorien, die sich in der praktischen Anwendung bewährt haben, annehmen, daß sie etwas musikalisch Relevantes abbilden.Allerdings wird für die praktische Anwendung häufig nur ein kleiner Teil eines Theoriegebäudes verwendet, oft werden nur Bezeichnungen übernommen. Man kann daher nicht unmittelbar von der Verbreitung einer Theorie auf die Relevanz ihrer Konzepte schließen. Insgesamt ist der erkenntnistheoretische Status der meisten Musiktheorien unklar. Nur bei Hauptmann, der sich auf Hegel bezieht, kann ein expliziter, allerdings explizit spekulativer, Ansatz festgestellt werden.

Der Versuch, eine allgemeingültige Theorie der Musik an sich zu beschreiben, ohne differenziert auf die Beziehungen von Hörer, Interpret und Komponist zur Musik einzugehen, führte zur Formulierung von Schemata wie der achttaktigen Periode, die Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben, deren Bezug zur musikalischen Wirklichkeit aber unklar bleibt. Riemann spricht von ›Tonvorstellungen‹ und ›musikalischer Logik‹, und dabei setzt er voraus, daß es eine ›richtige‹ musikalisch logische Struktur gibt. Es ist aber im allgemeinen nicht klar, ob diese richtige Struktur die ist, die der Komponist meinte, oder ob andere Kriterien, etwa der Wahrnehmung oder einer abstrakten musikalischen Logik, entscheidend sind. Riemann selbst ging so weit, in von ihm bearbeiteten Ausgaben klassischer Werke nicht nur Phrasierungszeichen einzufügen, sondern auch die vom Komponisten gesetzten Taktstriche zu ›korrigieren‹. Damit rief er allerdings bei Komponisten seiner Zeit heftigen Widerspruch hervor.18


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