wichtige zeitgeschichtliche Dokumente«, die jedoch über die sogenannte
Illuminationsphase musikalischer Handlungen nur geringen Aufschluss zu geben
vermögen:
»Die Idee, das musikalische Motiv ist in der Regel plötzlich da.
Hinsichtlich der weiteren Arbeitsschritte bzw. -phasen bestätigt sich aber
die Annahme, dass musikalische Produktionshandlungen hochgradig
durch die Wechselbeziehung von Individuum und Gesellschaft bestimmt
werden.«49
49 Bruhn / Rösing. Komposition. A.a.O., S. 516.
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Gemeint sein könnten weitere Komponenten die neben dem vorgegebenen
Funktionalitätsrahmen die Klangvorstellungen maßgeblich beeinflussen: »Mike Ink.
sammelt seine Schallplatten, stürzt sich nur zu gerne in die jeweils geltende
Techno-Semantik und verfolgt jeden Schritt seiner Schattenbilder. Und er weiß, wie
man eine Wirkung konstatiert, ohne sie manipulieren zu können«, heißt es bei
Kösch.50
50 Kösch über Mike Ink in: Kösch, Sascha. Mike Ink. In: Anz, Philipp / Walder, Patrick
(Hrsg.): Techno. A.a.O., S. 49.
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Diese Aussage zeigt auf, dass auch Techno-Macher bestimmte, vorgegebene Regeln
beherrschen und verinnerlicht haben müssen: Neben den schon benannten gezielten
Wirkungen von Techno beeinflussen die Hörerfahrungen der Rezipienten immer, wenn
auch unwillkürlich, die Klangvorstellungen der Musiker. (Hier sei angemerkt, dass der
Musiker immer auch Hörer ist.) Zugleich kennen die Klangkünstler die musikalischen
Regeln von Technotracks verschiedener Ausprägungen und integrieren sie in ihre
Musik. Wie diese letztendlich aussehen, ist im Kapitel über die musikalischen
Charakteristika umfassend dargestellt. Aus der Übersichtstabelle geht hervor, dass bei
Technotracks eine klare und zergliederbare Struktur sowie wieder erkennbare
Klänge wesentlich sind. Schon bei der Konzeption des Klangmaterials weiß
ein Musiker, dass zum Beispiel eine gute HiHat Anfang und Ende eines beim
Publikum beliebten Technotracks sein kann. Andere Beispiele, die diesbezüglich
Zeichen setzen, sind transparente Strukturen, einschätzbare Dauern der Tracks,
prägnante HiHats aus der Roland TR 808 oder 909, die an bestimmten Stellen
bei Tanzenden das Hochwerfen der Hände initiiert und nicht zuletzt gezielte
Pausen, die das Publikum als Ruhe vor dem Sturm zum letzten emphatischen
Höhepunkt eines Tracks wahrnimmt. Musiker wie Juan Atkins beherrschen laut
Kuhn51
auf jeden Fall die Regeln, nämlich das Einbetten musikalischer Erfahrungen und der
damit verbundenen musikalischen Erwartungen der Rezipienten in gleichförmige,
Techno-typische Klang- und Rhythmusstrukturen. Ferner bewegt er sich als genauer
Kenner immer in den Bahnen des typischen, minimalistischen Detroit-Techno.
Obschon sich Atkins Musik seit den Anfängen der Techno-Ära kontinuierlich auf
dem Markt behauptet und er sich als Routinier des Techno-Klang-Regelwerks
beweist, enthalten viele seiner Tracks Klänge, die eigenwillig sind und aus dem
konventionellen Rahmen fallen. Neben der Integration des Vorhandenen in die
Klangvorstellungen für einen Technotrack entwickeln sich in den Köpfen der
Produzenten Ideen über die Beschaffenheit von Längen und Strukturen, die zu einem
ganz persönlichen genuinen Ausdruck gelangen. Atkins Vorgehensweise zeigt, dass
intentional und intuitiv gerichtete Zugänge zu Techno eine geschlossene Einheit
bilden.
Techno ist einerseits ganz funktionalen und somit rationalen, andererseits
unbewussten Gesetzmäßigkeiten unterworfen, an denen sich von vornherein erste
Klangideen
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