- 95 -Sydow, Kurt: Musikpädagogische Beiträge aus drei Jahrzehnten 
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Trübung. Weil keine negativen Berichte bekannt wurden, glaubt die historische Forschung so folgern zu können. Da dem Kantor in damaliger Zeit für den Gottesdienst die Auswahl der Kirchenlieder zufällt, ist sein Amt dem des Geistlichen in der Planung und Gestaltung des Gottesdienstes beigeordnet. Es ist bekannt, wie auch hierüber später zwischen Bach und Ernesti Streit entsteht. Umso mehr ist für den genannten Trauergottesdienst das Hinüberwechseln des Bibeltextes, über den die Predigt geht, zur Motette und damit zur musikalischen Interpretation des Wortes in der gleichen Feier zu vermerken. Ob der Gedächtnisgottesdienst mit dem Tage der Beerdigung zusammenfiel oder um vieles später lag, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber selbst ein Zeitraum von wenigen Tagen konnte nach damaligem Brauch ausreichen, um ein Chorwerk vom Ausmaß der Motette "Jesu meine Freude" entstehen zu lassen, in Abschriften herzustellen, einzusingen und zum gegebenen Anlaß darzubieten. Aus jener Zeit existieren nur sehr spärliche autobiographische Aufzeichnungen über den Schaffensprozeß. Das Schaffen zeichnet sich durch eine handwerkliche Gesinnung aus, die eine Reflexion ausschließt und eitle Selbstbespiegelung nicht aufkommen läßt. Ob also Bach den Gedanken für diese Motette schon länger hegte oder ihn erst durch den Anlaß der Beerdigung bekam, bleibe dahingestellt. Ihr liegt eine textliche wohl abgewogene Planung zugrunde. Ehe noch die erste Note dazu geschrieben wurde, wird im Komponisten die Gesamtvorstellung, der Kompositionsplan, vorhanden gewesen sein. Denn von seinem Unterricht heißt es:

"Er bestand darauf, daß jede Komposition im Kopfe entworfen wurde, und gestattete die Niederschrift erst, wenn es galt, einen originellen Gedanken festzuhalten. Er spottete über die "Clavierritter", die ihre Inspiration aus den Fingern bezogen und auf derJagd nach einem Einfall wild über die Tasten stürmten." 4

Diese Forderung an seine Schüler gibt ein Bild seiner eigenen Denkund Arbeitsweise.

Sechs Motetten sind aus Bachs Schaffen überliefert. Nur bei Johann Nikolaus Forkel findet sich in der 1802 erschienenen Schrift "Über Johann Sebastian Bachs Leben, Kunst und Kunstwerke", die auf Unterlagen von Wilhelm Friedemann Bach und Philipp Emanuel Bach, den berühmten Söhnen des Meisters, fußt, eine Bemerkung, Bach habe

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