- 223 -Sydow, Kurt: Musikpädagogische Beiträge aus drei Jahrzehnten 
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die bei noch so guter Truppenführung nicht erscheint, nämlich, die den Menschen innerlich berührt. Der Umgang bleibt sonst immer formal, es sei denn, daß Kampferlebnisse die Menschen zusammenbinden und Kameradschaft entstehen lassen.

Das Kriegsende selber fand mich im Lazarett. Ich hatte mir beim Radfahren auf dem Eis einen komplizierten Unterschenkelbruch zugezogen. Das war am 10. Januar 1945, zwei Tage bevor wir alle in die sogenannte kämpfende Truppe abkommandiert werden sollten. Dadurch war ich, da der Bruch schlecht verheilte, noch im Lazarett, als die Russen nahten. Es gab dann die Order, jeder der sich absetzen könne, möge sich absetzen und versuchen, nach Westen zu kommen.

Diesen Schreckensmarsch werde ich nie vergessen.

Daß Humpelnde, Hinkende, Noch-Blutende sich in Bewegung setzten, doch hoffnungslos, weit zu kommen. Doch es soll hier nicht der Ort sein, die Schrecken zu erzählen, die sich dann ereignet haben. Ich selber hatte schon vorher meine Familie nach Kühlungsborn holen können, und meine Frau hatte dadurch Wohnsitz erhalten können, daß sie als Lehrerin tätig wurde. So hatte die Familie eine Bleibe in dem Leuchtturmort Bastorf in der Nähe von Kühlungsborn, und dorthin habe ich mich humpelnd bewegt. Wir beschlossen dann auch noch, auf die Flucht zu gehen mit bessarabischen Bauern, aber es ist uns nicht gelungen, die Westseite zu erreichen. Die russischen Panzer überrundeten uns und, wie es so schön hieß, dann waren wir befreit.

In der Stadt Wismar bin ich im Herbst 1945 beim Theater gewesen und nach kurzer Zeit zum Konzertmeister avanciert. Wir spielten kleine Opern, Operetten und Schauspielmusiken. Wir hatten außerdem Sinfoniekonzerte - und da der Kapellmeister Galenbeck in Schwerin nicht dirigieren durfte, sich erst mal wieder im Kleinen zu bewähren hatte, durfte er in Wismar dirigieren und so haben wir unter dem nicht ganz unbekannten Galenbeck recht anspruchsvolle Sinfoniekonzerte durchgeführt. Es fanden dann auch Kammermusikkonzerte statt, die ich in die Welt gesetzt habe. Auf Anregung des Kulturberaters, eines Ingenieurs, an der Ingenieurakademie, habe ich Einführungsvorträge zu diesen Sinfoniekonzerten gehalten. [...]

Doch es wurde durch verwandtschaftliche Bindungen das Streben bestärkt, sich nach dem Westen abzusetzen. Hier war eigentlich Wilhelm Ehmann derjenige, der den Lockruf aussprach. Wilhelm Ehmann wollte in Herford eine Kirchenmusikschule aufbauen, was er


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