- 193 -Sydow, Kurt: Musikpädagogische Beiträge aus drei Jahrzehnten 
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"Die wichtigste Bewirkung der musikalischen Jugendbewegung - über ihr geschichtliches Ende hinaus - ist die Überwindung des Historizismus: dieser Ausdruck freilich nicht i.S. gelehrter Interpretation, sondern als gesellschaftliches Resultat zu verstehen. In diesem Sinn ist Musik nicht stilkritisch nach Epochen, sondern nach soziologischen Kriterien zu unterscheiden:

a) gespielt oder nicht gespielt, gehört oder nicht gehört, rezipiert oder nicht rezipiert? Insofern wird die Unterscheidung zwischen moderner und historischer Musik aufgehoben in der Unterscheidung aktueller oder nicht aktueller Musik.

b) Die musikalische Jugendbewegung hat das nationale Kulturerbe integriert. (Als ein Beispiel unter anderen: die persistente Aktualisierung eines musikalischen Komplexes durch die "Heinrich-Schütz-Bewegung".)

c) Eigentümlich, aber nach den Kriterien der Soziometrie nicht zu bestreiten ist die Verbindung zweier prinzipiell entgegengesetzter Felder: die praktisch zustande gekommene Deckungsgleichheit der Idee der musikalischen Jugendbewegung mit der Praxis der Schallplatten-Industrie. Die ästhetischen, pädagogischen etc. etc., insgesamt die grundsätzlichen Einwände gegen die Schallplatte als Tonträger beiseite gesetzt: die Schallplatte liefert der schweigenden Mehrheit, in welche die musikalische Jugendbewegung versickert ist, das Instrumentarium zu soziomusikalisch neuem Ansatz, leistet Unabhängigkeit vom Diktat der jeweils herrschenden Meinung.

Insofern hat von der musikalischen Jugendbewegung das allbekannte "Le roi est mort, vive le roi" zu gelten. Im soziomusikalischen Wandel wird es sich um den Prozeß der Rezeption handeln, früher oder später auch um seine kulturpolitische Bewirkung. "Die musikalische Rezeption ist ein wichtiges Problem jeder Musikanschauung, die neben der fachgebundenen Wertung die gesellschaftsgebundene zu erfassen sucht." 8 Die Diffamierungsvokabel "musealer Kunst" hat sich als Leerformel erwiesen. Aller "historischen" Musik ist zur gesellschaftlichen Praesenz, ist zur Qualität aktueller Musik verholfen worden."
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