vergangener Normen, grüblerischer Innerlichkeit und forschem Karrieretum.

In dem Vortrag von Ludwig Finscher "Hindemiths Geschichtlichkeit" (Musica 4/71) fällt das Wort vom "Kleinbürger" ebenfalls, aber doch nicht einseitig:

Und der "wildgewordene Kleinbürger" (ich füge hinzu "der Bürgerschreck"), hinter dessen zeitigem Aufbegehren schon die rechtzeitige Unterwerfung lauert, war auch der Mann, der seine bürgerliche Existenz in die Waagschale warf, als er sah, worauf es unter einem anderen "wildgewordenen Kleinbürger" in Deutschland hinauswollte.

Rechtzeitige Unterwerfung meint bekanntlich die Rückwendung zur Tradition, die Anerkennung eines Naturgesetzes, dem sich seine Tonsatzlehre und sein Komponistenstil einordnet, das zu überspringen uns versagt sei. Doch wie ist es mit dem Wort "Kleinbürger", was wird darunter letzten Endes verstanden? Aufklärung gibt für den oben zitierten Gebrauch vielleicht die Sendung des WDR vom 19.11.72: "Der reaktionäre Musikbetrieb" zum studentischen Protest gegen musikalische Ausbildung und Produktion, deren ökonomische Verwertung und ideologischen Überbau. Darin zitiert Werner Schmid-Faber:

Selbst die scheinbar jeder Vermarktung widerstrebende Neue Musik ist - einmal zur Ware geworden, nicht nur weil sie Profit bringt, sondern vor allem Herrschaft stützt, den Gesetzen der freien Wirtschaft unterworfen. Die Klassenlage des Künstlers wurde charakterisiert als die des zwischen den Klassen schwankenden Kleinbürgers, den nur ökonomische Privilegien im Austausch gegen ideologische Herrschaftsstabilisierung vor seiner endgültigen Proletarisierung bewahren.

Diese Definition erleichtert das Verständnis für den diskriminierenden Begriff "Kleinbürger". Er trifft, so verstanden, für alle bedeutenden Weggenossen der Komposition in Vergangenheit und Gegenwart zu.