- 17 -Sydow, Kurt: Musikpädagogische Beiträge aus drei Jahrzehnten 
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Im Rahmen eines Bildungsinstituts besteht der Wunsch, junge Damen, die sich sehr in ihrem Individualstil gefallen, zur Gemeinsamkeit im Singen zu bringen. Sie wollen partout nicht. Der Singleiter zieht alle möglichen Register, um zu locken, um eine gemeinsame Basis herzustellen. Dann wird er nervös und verläßt schließlich verärgert den Raum. Von draußen hört er mit hellen Stimmen spontan gesungen: Die Gedanken sind frei. - Na also - wenn auch mit umgekehrten Vorzeichen, so doch ein singender Durchbruch! (Fast ein politisches Ereignis!)

Ein Lehrer singt mit seinen Schülern Klotzlieder. Er selber gehört zur Singbewegung und liebt das gepflegte Chorsingen. Sein Wunsch aber, den Jungen ihnen gemäße Ausdrucksmöglichkeiten zu verschaffen, läßt ihn sich seiner eigenen Jugendjahre erinnern und die im Gedächtnis behaltenen Klotzlieder gibt er weiter. Die Jungen fühlen sich dabei wohl und ihrem natürlichen Bedürfnis zur Entfesselung wird durch die Gattung der lustig-schaurigen Gesänge entsprochen. Mit diesem Versuch aber, ein Jungenleben auf- und einzufangen, erregt der Lehrer bei den Kollegen und Vorgesetzten heftiges Ärgernis und er darf in Zukunft das musikalische Ventil für Übermut und Überdruß nicht mehr öffnen.

Eine Studentengruppe befindet sich mit ihren Dozenten und Professoren auf einer Freizeit in waldreicher Gegend. Bei der Morgenrunde wird das Lied angestimmt: Jeden Morgen geht die Sonne auf. Darob werden entschiedene Ansichten laut, daß es unmöglich sei, einen solchen Text in Gemeinsamkeit zu singen. Diese Art von Lyrik: Schöne, scheue Schöpferstunde... " verbiete sich dem Gemeinschaftssingen". Auch das Lied "O du stille Zeit" findet Widerspruch. Vom Wort her läge es nur im kleinsten Kreis richtig, etwa in der Familie, die Melodie aber verführe in der Menge zu klangschwelgerischem Singen, höchstens "entfettet" sei sie tragbar. (Es ist bei diesem neuen Lied wie bei vielen romantischen Liedern des vielgeschmähten 19. Jahrhunderts; wenn das Melodische zu seinem Recht käme und nicht klanglich überwuchert würde, könnten sie in neuer Weise ihre Gestalt enthüllen.) Die Frage aber, in welchem Liedgut sich verschiedene


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