- 11 -Sydow, Kurt: Musikpädagogische Beiträge aus drei Jahrzehnten 
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gesungenen Kanon in derselben Weise nach dem Ohr auf den Instrumenten nachzumusizieren, zeigt immer wieder die Notwendigkeit für die einfachen Ansätze offen und bereit zu machen. -

Die Wiederentdeckung der Bewegung in der Musik ist nicht nur ein rein geistiger Nachvollzug. Seit Dalcroze gehen die Versuche, das Körperhafte, die Verleiblichung wieder zu entdecken. Es begann musikerzieherisch mit metrischen Übungen durch Klatschen und Gehen. Heute versucht die Rhythmische Erziehung allen Bewegungsvorgängen in der Musik körperhaft nachzugehen und damit den inneren Gesetzen des rhythmischen Ablaufs eines Meisterstückes nachzuspüren. Die Beziehungen werden wechselseitig, indem nicht nur Musik in Bewegung umgesetzt wird, sondern auch Bewegung Anlaß ist zur musikalischen Erfindung. Das beglückende Lebensgefühl innerer Leichtigkeit, das bei solchen Bemühungen entsteht, ist ein nicht zu unterschätzendes Ergebnis im weiten Felde eines neuen Umganges mit Musik überhaupt. Alle Bewegungserfahrungen können freilich wesentlich nur in Verbindung mit der Atmung und mit der Stimme zugleich gemacht werden. Die Musikauffassung, die sich hieraus notwendigerweise entwickelt, ist seelisch enthaltsamer, intellektuell uninteressiert, geistig gebändigt und bewegungsmäßig reicher. Die Fähigkeit, die Gebärden in der Musik zu erkennen, macht zugleich kritisch für alles nur Gestische und für alles Theaterhafte. So erfolgt auch eine reinigende Klärung über das Wesen der Musikstile im körperhaften Umgang.

Der rhythmische Sinn gewinnt - durch körperhafte Bewegung auf einen neuen Grund gestellt - einen ursprünglichen Zugang zu den Gangarten alter Tänze und Suiten. Er entwickelt besondere Fähigkeiten, über die Suite hinaus das Verhältnis anderer zyklischer Formen wie Sonate, Sinfonie, Variationen, Chaconne, Passacaglia in ihren Satzteilen bewegungsgemäß gegeneinander abzusetzen. Es handelt sich dann nicht mehr um eine Rhythmik, sondern um die Rhythmisierung eines größeren Zusammenhanges. Die Kunst der Rhythmisierung ist eine zusätzliche Fähigkeit für die Gestaltung von Kunstwerken im Ganzen. Aber auch für unsere unmittelbaren Lebensbereiche kann sie Geltung gewinnen, wie etwa in Singwochen Tages- und Wochenlauf "rhythmisiert" ist und wie Stunden- und Lehrpläne rhythmisiert sein sollten. Bis in diese Lebensbereiche hinein wirkt sich eine tätig-leibhaftige rhythmische Schulung aus.


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