- 71 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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D.: Das Kunstwerk verlangt eine Interpretation, so sagt ja auch Adorno. Aber im gleichen Augenblick, wo ich die Frage stelle nach dem, was das Kunstwerk ist, was es will und was es sagt, wo man das alles also dingfest machen will, entschwindet diese Frage auch. Man muß immer wieder von Neuem anfangen. Das ist eine "Figur", die in der "Ästhetischen Theorie" Adornos wiederholt auftaucht. Und das begründet im übrigen ja auch die analytischen Schwierigkeiten, die wir als Musikwissenschaftler haben, wenn wir uns den Adornoschen Deutungen nähern.


Döpke: Worum es Adorno geht, ist, daß man auch Musik versucht zu entziffern als ein gesellschaftliches Phänomen. Die Literaturwissenschaft hat es einfacher, weil es um stoffliche Inhalte geht und weil Sprache ein Material ist, das alltäglich vertraut ist und dem Alltag auch zugehört. Die Musikwissenschaft hat es wesentlich schwerer, weil die Trennung zwischen Alltag und Kunstwerk größer ist. So ist es schwieriger festzustellen, was an Musik nun geschichtlich oder gesellschaftlich ist, wenn man nicht in platte Analogien verfallen will.

 

D.: Ich würde ganz gern noch einmal auf die hier diskutierte Methode Adornos zu sprechen kommen: Einerseits hatte ich den Eindruck, daß das zum Teil sehr vereinfacht gesehen wurde, zum anderen glaube ich, daß man Adorno ganz und gar nicht mit Sätzen wie "das ist vielleicht ein Trick von ihm" abtun kann. Sie haben gerade auf die "Ästhetische Theorie" abgehoben und auf die besondere Erkenntnisweise, mit der man sich der Kunst nähern solle. Das ist ein methodischer Zugriff, und ich meine, in dieser besonderen Erkenntnisweise liegt das Geselschaftliche. Die Form der Erkenntnismöglichkeit, die uns Kunst bietet, ist gesellschaftlich etwas Besonderes. Innerhalb einer von ständigen Informationen und festen Dingen zugerichteten Welt ist dieses Staunen und dieser Wechselcharakter das Geheimnis der Kunst. Dieser Kunst über dieses Geheimnis nahezukommen, ist etwas Besonderes gerade im Hinblick auf die Gesellschaftlichkeit, die uns umgibt.


Döpke: Im Prinzip ist das eigentlich nicht problematisch, das Gesellschaftliche von Kunst und Musik auszumachen. Aber schwierig wird es, wenn man in die Einzelheiten geht: Was bedeutet es gesellschaftlich, daß sich im 18. Jahrhundert die Sonatenform entwickelt, die es so vorher nie gegeben hatte? Oder was ist der gesellschaftliche Grund dafür, daß plötzlich Trivialmusik, so wie bei Mahler, in der Sinfonik auftaucht und sozusagen einmontiert wird? Da gibt es auch bei Adorno Stellen, wo sein Analogieverfahren etwas platt wird. Ich erinnere mich an eine Metapher im Zusammenhang mit der Mahlerschen Instrumentation. Da sagt Adorno, einerseits diene diese Instrumentation der Verdeutlichung und sei für die Komposition konstitutiv, andererseits gebe es bei Mahler auch das Bedürfnis nach Bindung des Klangs, so wie in der Kochkunst Suppen gebunden werden.


D I: Noch etwas zum gesellschaftlichen Gehalt. Da sagen Musikwissenschaftler, Gehalt gebe es in der Musik gar nicht, sondern nur Form. Andere wie Eggebrecht und Adorno sagen dagegen mit Nachdruck, es gebe einen Gehalt, es gebe etwas, was man durch Interpretation herausholen müsse. Das ist eigentlich eine idealistische Position: zu behaupten, der Gehalt sei im Werk, den


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