- 69 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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Die Notenbeispiele sind folgenden Partiturausgaben entnommen: Bsp. 1 (Symphonie Nr. 3) Philharmonia Nr. 468 Bsp. 2 (Symphonie Nr.4) Edtion Eulenburg Nr. 575 Bsp. 3a-d (Symphonie Nr. 5) Edition Eulenburg Nr. 532 Bsp. 4 (Sieben Lieder) Philharmonia Nr.253 Bsp. 5 (Das Lied von der Erde) Philharmonia Nr. 217



Diskussion Döpke


D.: Nach Adorno muß man trennen zwischen dem künstlerischen und dem empirischen Subjekt. Die Frage ist nur, wieweit er sich an diese Forderung selbst hält. Im Wagnerbuch wird das empirische Subjekt häufig in sehr enge Beziehung zum künstlerischen Subjekt gesetzt. Etwa dann, wenn Adorno Wagner vorwirft, dieser habe gewissermaßen in der Figur des Mime eine Seite seiner Person selbst charakterisiert, und zwar das, was er an sich selbst verdrängen möchte. Wie ist das nun mit Mahler?


Döpke: Die Trennung in der Darstellung Adornos in Bezug auf Mahler ist auch nicht immer streng. Nur, in dem Maße wie das im Versuch über Wagner geschieht, daß die biographische Person und sozusagen das musikalische Subjekt vermischt werden und daß vom einen aufs andere geschlossen wird, passiert es in der Mahlerstudie nicht. Vielleicht auch deshalb, weil es für Adorno wohl Schwierigkeiten gibt, diesen Mahlerschen Ton, der ja auch durch Trivialmusik gefärbt ist, so ohne weiteres wörtlich zu nehmen. Denn er beharrt auf der Uneigentlichkeit der Mahlerschen Sprache; von daher bietet sich schon eine Trennung für Adorno an. Zumindest ist in der Mahlerstudie nicht der Versuch gemacht, das Werk aus der Biographie zu erklären.


D.: Mir fällt auf, daß die Sympathie Adornos viel stärker bei Mahler liegt als bei Wagner. Doch hat mir bei dem Buch über Mahler ein Sachverhalt von Anfang an große Schwierigkeiten bereitet, nämlich mit welcher Sicherheit Adorno auf die Gebrochenheit der Musik hinweist. Dagegen meine ich: Wenn ein Komponist wie Brahms in seinen "Vier ernsten Gesängen" auch über den Tod schreibt, so ist solche Musik als geformte Musik doch immer ein positives Gebilde. Ich hörte vorige Woche noch einmal ein großartiges Werk von Bernd Alois Zimmermann, ein schwermütiges, ein verzweiflungsvolles, nämlich die "Ekklesiastische Aktion: Ich wandte mich und sah an alles Unrecht, das geschah unter der Sonne". Ich hatte Gelegenheit, ungefähr zur gleichen Zeit Originalblätter Zimmermanns zu diesem Werk anzusehen. Zimmermann wußte vor seinem Freitod offenbar genau, was er tun wollte und mühte sich doch auf den letzten Seiten dieser Partitur (das konnte ich aus der Handschrift ersehen), alles Mögliche noch zu verändern und zu verbessern. Er wollte also alles so vollkommen wie möglich machen, ob er nun weiterleben würde oder nicht. Im Angesichts des Todes war das der feste Wille, mit einem vollkommenen Werk, das Tod und Verzweiflung Gestalt werden läßt, etwas künstlerisch nicht Gebrochenes zu schaffen: das war ein positiver Akt. Was will ich damit sagen? Den Interpretationen Adornos über Mahlers Stücke, die als gebrochen beschrieben werden, zu folgen, habe ich größte Schwierigkeiten. Zum Beispiel, wenn in den Liedern aus "Des Knaben Wunderhorn" der Deserteur, der gehängt


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