- 19 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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Diskussion Sziborsky


D: Sie haben sich bemüht, Adorno in seiner Erkenntnisweise kulturgeschichtlich einzuordnen. Das geschieht bei Ihnen implizit, und ich meine herausgehört zu haben, daß eine Nähe zur Hermeneutik besteht, etwa zu wirkungsgeschichtlichen Fragen bei Gadamer, aber auch zur Ästhetik Hegels. Wo sind Verbindungen in erkenntnistheoretischer Hinsicht zwischen der Geschichtsphilosophie aus der Richtung Gadamers und dem Erkenntnisinteresse, wie es Adorno an den Tag legt?


Sziborsky: Bei Gadamer ist es ja so. daß sich ein Werk erst in seiner Wirkungsgeschichte entfaltet. Auch wir stehen in der Wirkungsgeschichte, und unser Urteil über Kunstwerke, unser Verstehen von Kunstwerken ist durch diese Wirkungsgeschichte mitgeprägt. Wir haben eine Vorurteilsstruktur, die wir mitbringen und die in die Erfahrung der Werke hineinwirkt. Für Adorno schließt die jeweilige Erfahrung eines Kunstwerks alle Erfahrungen mit ein, die das Subjekt in seiner Subjektivität gemacht hat, d.h. sein ganzer Erfahrungshorizont geht mit ein. Wenn man bedenkt, daß dieses Subjekt ja ein geschichtliches und gesellschaftliches Subjekt ist, mithin in einem Traditionszusammenhang steht und auch von dort her sich selber zu begreifen hat, könnte hier eine Verbindung zu Gadamer hergestellt werden. Das Subjekt korrespondiert in seiner Erfahrung mit dem, was das Kunstwerk an sedimentierter Geschichte in sich hat.


D I: Ich glaube, daß die Positionen Adornos und Gadamers da doch sehr verschieden und nicht vergleichbar sind. Wenn Adorno von Wirkung spricht, dann verwendet er dieses Wort in einem negativen Sinn. Kunstwerke, die Wirkung haben, sind durch den Kulturbetrieb gleichsam kompromittiert, sie sind Funktion dieses Betriebs, während sich bei Gadamer die Wahrheit gerade in dieser Wirkung entfaltet. Die Bedeutung des Wortes Wirkung ist bei Gadamer eine andere als bei Adorno. Ich möchte noch darauf hinweisen, daß für Adorno der Wahrheitsgehalt im Kunstwerk ist, d.h. er wird durch den Akt der Produktion und nicht durch den der Rezeption bestimmt. Das Stadium der Rezeption ist für ihn ein sekundäres.


Sziborsky: Eine gravierende Differenz zu Gadamers Theorie der Wirkungsgeschichte ist durch Adornos Theorie der Kulturindustrie gegeben; dies ist in aller Schärfe festzuhalten. Trotzdem, so meine ich, bleibt die Frage bestehen, ob sich nicht doch auch Verbindungslinien aufzeigen lassen.


D II: Der kulturkritische Aspekt hat bei Gadamer sicher keine große Bedeutung. Aber die Verbindungslinien erscheinen mir evident, wenn man von dem Begriff der ästhetischen Erfahrung ausgeht. Sie haben darauf hingewiesen, daß der ästhetische Erfahrungsprozeß nach Adorno zu einer besonderen, einer neuen Naivität führen könne. Auch bei Gadamer besteht das Ende der ästhetischen Erfahrung nicht in einer einmaligen Erfahrung, sondern eben in der besonderen Offenheit für neue Erfahrung. Das ist die gleiche Naivität, die auch bei Adorno gemeint ist, daß nämlich Erfahrung nicht darin ende, daß man letztlich alles besser wisse, sondern daß man für das, was neu auf uns zuströmt, besonders offen werde.


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