- 128 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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Der Briefwechsel dokumentiert lückenlos die Entstehung der Aufsätze über Berg und seine Musik und bringt den unwiderruflichen Beweis, daß sie unter Bergs Aufsicht und mit seinem Einverständnis geschrieben wurden. Die später erschienenen Aufsätze sind dann meist bloße Abdrucke und eine Verfeinerung der bereits bestehenden Formulierungen - keineswegs jedoch eine Revision des Inhaltes. 10)


Wie gut Adorno Berg kannte und wie authentisch sein Werk über ihn ist, zeigt eine im Berg-Nachlaß erhaltene kleinere Kuriosität. Unter dem Entwurf zu Willi Reichs biographischem Teil der ersten Monographie über Berg befindet sich ein Kapitel von Anekdoten aus dem Leben, das mit Kommentaren und Ergänzungen von Adorno versehen ist. 11) Zum Beispiel: Reich erzählt von einem Eisenbahnunglück am 31. Januar 1929 in Berlin, dem Berg nur durch Zufall entging. Adorno kommentiert: "Hinweis auf seine ständige Bedrohtheit, `Pech' und allen möglichen Sachen. Als ob seine Erscheinung die Dinge der Welt völlig unschuldig in Ordnung gebracht hätte. Sein Bemühen dagegen, möglichst unauffällig zu leben. Sein Bedürfnis nach `Lockerheit', auch künstlerisch." Ein weiteres Beispiel ist die Gegenüberstellung von Reich mit Adorno über Bergs Rolle als Jurymitglied in der IGNM und Allgemeinen Deutschen Musikverein. Reich schreibt: "Er war sich aber seines künstlerischen Ranges sehr bewußt, und es schmerzte ihn tief, wenn sein Rat nicht angenommen wurde. ... An allen Fragen des öffentlichen Lebens nahm er lebhaften Anteil, Kritiken eigener und fremder Werke studierte er sehr aufmerksam und völlig objektiv, von dem Bestreben getragen, Verstimmungen richtig zu stellen und böswillige Fälschungen zu entlarven." Hingegen Adorno: "das ist ein bißchen übertrieben; er war doch eher ein kontemplativer Mensch. Die Stellen waren ihm vor allem wichtig als Symbole des Anerkennens."


Es ist nicht verwunderlich, daß Adorno nach Bergs Tod einige für ihn noch ungeklärte Fragen an Helene Berg stellte. Aus seinen Briefen an sie geht hervor, daß sein Verhältnis zu Bergs Witwe wohl charmant und respektvoll gewesen war, nicht aber als innig oder sehr freundschaftlich bezeichnet werden kann. Sie war für ihn die Gattin seines Lehrers, den er verständlicherweise weitaus besser kannte und dem er weitaus näher stand. Sein erster Brief nach Bergs Tod an Helene Berg mit einer direkten Anfrage über den Verbleib der Partitur der "Lyrischen Suite" wurde als Affront aufgefaßt:


"... Heute nun habe ich auch den Mut, über etwas anderes mit Ihnen zu sprechen, was mit den Analysen zu tun hat, zugleich aber Sie auf denkbar private Weise betrifft. Ich meine die Vorgänge im Zusammenhang mit der "Lyrischen Suite". Den Kern meiner Analyse - der für eine englische Gelegenheit geschrieben war, für welche man ihn dann nicht verwertete - hat er noch gekannt und gebilligt und zwar ausdrücklich auch die Art, in der ich den poetischen Vorwurf berührte (eben jener Schwierigkeit wegen hatte ich es bislang immer vermieden, über die "Suite" zu schreiben)... Ich habe die Angelegenheit H.F. vom ersten Tag an gewußt und bin, in einer übrigens sehr wenig glücklichen Weise, sein Vertrauter und wenn Sie wollen Helfershelfer gewesen. Ich hatte ihm absolut verbindlich versprochen, mit keinem Menschen darüber zu reden, und habe dies Versprechen streng gehalten bis zu dem Augenblick,


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