- 109 -Sonntag, Brunhilde (Hrsg.): Adorno in seinen musikalischen Schriften 
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siekonstruktion, wie sie zu poetischem Zwecke in der "Erwartung" errichtet wurde, für die absolute Musik entscheidend fruchtbar sein wird, fruchtbarer als jede Konstruktion dagewesener Formen; und ich sehe in der Zwölftontechnik je länger je mehr das Mittel, die Organisation des Materials hinter der Fassade, also hinter die erscheinende, erklingende Musik zu verlegen und jene der Phantasie frei zu überlassen. Sollten Sie meine Anzeige von Schönbergs op. 29 und 30 im jüngsten Heft der `Musik' gesehen haben, so fänden Sie gerade gegenüber der Zwölftontechnik manches davon nicht ausgeführt und schon als ich über das Kammerkonzert schrieb, wollte ich auf das Problem der Restitution der Musikalischen Freiheit, im schärfsten Widerspruch zur neuen Klassizität, heraus; aber besser als alle theoretischen Analysen glaube ich was ich komponierend realisieren zu können; gegen einen anständigen Text ist ja doch alles Gerede über Musik ganz müssig! So habe ich Ihnen denn von meinen jüngsten Meinungen um so mehr gesprochen, um mir als Komponierender bei Ihnen Rates zu holen, als weil ich diesen Theorien besonderen Selbstwert zumässe." 5)


Wie bei allen Schülern, die Berg für begabt hielt und die ihm deswegen nahe standen, wirkte er ebenfalls im Falle Adornos sehr stimulierend, war aber doch gleichzeitig recht streng und stellte hohe Ansprüche. Er war sich seiner Aufgabe als Lehrer sehr wohl bewußt und setzte sich für Drucklegung und Aufführungen von Adornos Werken konstruktiv und wirksam ein. "Sehr herzlich danken möchte ich Ihnen für das Arrangement einer Aufführung meiner Lieder in Amsterdam. Gestern bekam ich einen Brief, nach dem sie sicher ist. Es ist rührend von Ihnen, bei dieser Gelegenheit an mich zu denken." 6)


Am 23. September 1931 war es so weit:


"Lieber Herr und Meister,


stets, wenn ich Ihnen über lange Zeiträume hin nicht geschrieben habe, staut sich das schlechte Gewissen derart an, dass es, anstatt den Schreibmechanismus in Bewegung zu bringen, ihn hemmt; und die Hemmung verstärkt sich durch die Angst, Sie möchten - mit allem Recht! - böse auf mich sein und sich über das endlich verfertigte Schriftstück allein ärgern. Diesmal ist nun meine Schuld besonders gross: nachdem Sie mit solcher Liebe und Freundschaft etwas für meine Musik tun wollten, ohne dass von mir das mindeste erfolgte. Ich weiss also gar nicht, ob ich diesmal Ihre Verzeihung überhaupt erlangen kann und muss schon all Ihr Johanneisches Wesen aufrufen, um da eine Hoffnung zu behalten. Dennoch, halten Sie mich nicht für ein Ungeheuer, verbannen Sie mich nicht aus Ihrem Bewusstseins- und Unbewusstseinsraum und seien Sie, wie der heilige Baudelaire, zwar nicht mère aber père, mème pour un ingrat, mème pour un méchant. Denn mein verstocktes Schweigen und Ihre Initiative für meine Musik - die mir, mit Ihrer Anerkennung im Frühjahr, die grösste Freude war, die mir seit sehr langem widerfuhr - hängen gleichwohl miteinander zusammen. Die Wahrheit zu sagen: ich könnte es nicht verantworten, mit etwas von meinen Dingen heute auf einem der grossen Feste zu erscheinen. Aus den verschiedensten Gründen. Zunächst: sie genügen mir nicht. Ich kranke an keiner falschen Bescheidenheit und weiss recht gut, dass sie besser sind als das meiste, was dort so gemacht wird. Aber das ist kein Masstab und da ich


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