- 30 -Schmidt, Patrick L.: Interne Repräsentation musikalischer Strukturen 
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In diesem Zusammenhang sei auch auf die Theorien von Théodule Ribot (1889), Nikolai N. Lange (1893) und Hugo Münsterberg (1889; 1900) verwiesen. Sie vertraten unabhängig voneinander eine motorische Theorie der Aufmerksamkeit, die besagt, dass Sinnesempfindungen nur Zugang zum Bewusstsein bekommen, wenn sie mit motorischen Prozessen einhergehen. Nach Lange ist eine willentliche Konzentration der Aufmerksamkeit nur möglich, wenn diese durch bestimmte Muskelbewegungen aufrechterhalten und verstärkt wird. Er war der Auffassung, dass auf diese Weise Ideen im Prozess der gerichteten Aufmerksamkeit fixiert werden (vgl. Lange 1893, S. 191, 206, 243).

Flow Margaret Washburn (1916, S. 25) nahm einen parabolischen Zusammenhang zwischen dem Verhältnis von Exzitation und Inhibition motorischer Prozesse und dem Zugang zum Bewusstsein an. Ein mittlerer Wert dieses Verhältnisses erzeugt ihr zufolge ansatzweise Bewegungen, d. h. leichte Kontraktionen der Muskeln, die am sichtbaren Verhalten beteiligt sind. Treten diese ansatzweisen Bewegungen langsam und mit Verzögerung auf, befinden wir uns in einem Zustand der Aufmerksamkeit. Aufmerksamkeit ist nach ihrer Definition ein motorisches Phänomen, da es eine unentbehrliche Vorbedingung für die Bildung von Assoziationen ist, die ebenfalls von motorischen Prozessen abhängt. Gemäß ihrer Theorie bestimmt das Verhältnis von Exzitation/Inhibition nicht nur unser Bewusstsein für periphere Erregungsvorgänge sondern auch für »zentrale exzitatorische Prozesse«, d. h. Vorstellungen. In einer Vorstellung werden ihrer Theorie zufolge die sensorischen Effekte vergangener Stimulationen reaktiviert. Wird ein motorisches Zentrum erregt, so werden alle sensorischen Zentren, die vor kurzem (oder häufig) dieses Zentrum gereizt haben durch Senkung der synaptischen Widerstände stimuliert (vgl. Washburn 1914). Die Eigenschaften der Vorstellungen werden hauptsächlich durch die Verzögerung der motorischen Impulse und dem tatsächlichen Auftreten der Bewegungen bestimmt: je länger die Verzögerung desto extensiver die Erregungsausbreitung von motorischen auf sensorische Zentren, was wiederum detailliertere und umfassendere Vorstellungen zur Folge hat. Dies erinnert an Wilhelm Wundts Begriff der »Miterregung« (1908–1911, Vol. 2, S. 37ff) und nahm das Prinzip der Pawlowschen Konditionierung vorweg. Da die Vorstellungen nach Flow Margaret Washburn aus Assoziationen resultieren und die Assoziationen von der Aufmerksamkeit bzw. dem Bewusstsein abhängen, der von ihr als motorischer Prozess definiert wurde, basieren Vorstellungen immer auf einer modalitätsspezifischen kinästhetischen Komponente. Vorstellungen sind demnach »bewusste Begleiterscheinungen« ansatzweiser/verdeckter Bewegungen.

Louis William Max (1937) ging von einer grundsätzlichen Abhängigkeit des Bewusstseins von der Stärke motorischer Prozesse aus:

If the motor theory of consciousness holds, then electromyographic responses, at a minimum during undisturbed sleep, should increase as consciousness becomes more complex (Max 1937, S. 302).

Hans Werbik (1971) wies einen umgekehrt U-förmigen Zusammenhang zwischen Komplexität von gehörter Musik und Eindrücken der Erregung und des Gefallens nach. Es scheint auch ein Zusammenhang zwischen der Komplexität der Aufgabe und der Höhe der EMG-Werte in Muskeln des Stimmapparates zu existieren. In mehreren sprachbezogenen Studien stieg die elektromyographische Aktivität in der


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