- 148 -Schmidt, Patrick L.: Interne Repräsentation musikalischer Strukturen 
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Singen wird schon seit jeher als geeignetes Mittel zur Schulung des Gehörs sowie zur Unterstützung des Melodiegedächtnisses angesehen. So schrieb z. B. Robert Schumann in seinen »Musikalischen Haus- und Lebensregeln«:

Bemühe dich, und wenn du auch nur wenig Stimme hast, ohne Hülfe des Instruments vom Blatt zu singen; die Schärfe deines Gehörs wird dadurch immer zunehmen. (zit. nach Appel 2002, S. 295)

Dass dies auch heute noch so gesehen wird, zeigt sich in der bedeutenden Rolle, die Singen im schulischen Musikunterricht sowie in Seminaren zur Gehörbildung an Konservatorien und Musikhochschulen spielt. Man muss also davon ausgehen, dass sich Singen positiv auf musikalische Gedächtnisleistungen auswirkt, sonst würde man die Erfolge gängiger Gehörbildungsansätze bzw. allgemein tradierter musikpädagogischer Erziehungsmethoden in Frage stellen. Dies erlaubt jedoch noch nicht den Schluss, dass sich »Inneres Singen« in ähnlicher Weise auf das musikalische Gedächtnis auswirkt. Aus den Ergebnissen dieser Arbeit kann auch keine Forderung nach einer Übertragung aus der Sportwissenschaft bekannter mentaler Trainingsmethoden in die Gehörbildung abgeleitet werden. Mentales Training im Sport beinhaltet die genaue und bewusste Vorstellung von Bewegungen. Das Verhältnis von Klangvorstellung und motorischen Prozessen ist offensichtlich wesentlich weniger direkt und noch kaum erforscht.

Ausblick

Der Einfluss des Singens auf musikalische Gedächtnisaufgaben und »Inneres Singen« ist nur schwierig empirisch überprüfbar. Hinweise auf einen solchen finden sich in mehreren im Theorieteil angeführten Studien (z. B. von Mainwaring 1933; Gippenreiter 1958; Leont’ev & Ovchinnikova 1958; Leont’ev 1959; Ovchinnikova 1960; Wickelgren 1966; Farah & Smith 1983 sowie von Wallace 1994). In einer Studie von Roger G. Pembrook (1987) erwies sich das Singen bei nichtprofessionellen Sängern dagegen als störend im Prozess des Enkodierens und späteren Wiedererkennens von Melodien.

Man könnte in künftigen Untersuchungen zwei Gruppen bilden und mit beiden Gehörbildungsaufgaben üben, indem man in einer Bedingung die Probanden auffordert, sich beispielsweise bestimmte Intervallqualitäten durch Nachsingen zu merken, wohingegen man in der anderen Bedingung/Gruppe dieses Hilfsmittel strikt untersagt oder durch phonatorische Interferenz erschwert. Anhand eines Vergleichs der in entsprechenden Gehörbildungstests erbrachten Leistungen (bei denen nicht laut gesungen werden darf) vor und nach diesem Training könnten dann eventuell Aussagen über einen positiven Einfluss der Zuhilfenahme der Singstimme gemacht werden. Es ist jedoch dabei nicht auszuschließen, dass Menschen auch ohne »lautes« (hörbares) Singen gute Leistungen erbringen, sei es weil Singen keine Rolle beim Erlernen musikalischer Gedächtnisinhalte spielt oder weil sie bereits zuvor in ihrem Leben viel gesungen und Musik gehört haben und sich dadurch das Mitsingen in Form winziger Kehlkopfbewegungen weitestgehend automatisiert und internalisiert hat.


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