Schlussbetrachtungen
Musikpädagogische Implikationen
Bei der vorliegenden Dissertation handelt es sich um eine Grundlagenarbeit. Es wurde im
Wesentlichen festgestellt, dass sich der Kehlkopf beim Vorstellen von Musik bewegt und dass
eine positive Korrelation zur Qualität musikalischer Klangvorstellung existiert. Die
Bedeutung dieser motorischen Prozesse muss letztendlich unklar bleiben. Die empirisch
bestätigte (oder besser gesagt nicht falsifizierte) Beziehung zwischen Kehlkopfbewegungen
und der Güte der musikalischen Klangvorstellung darf nicht mit einer bestätigten
Kausalbeziehung im Sinne einer eindeutigen Ursache-Wirkungs-Sequenz verwechselt werden.
Weder die Korrelation der EMG-Werte mit den »AMMA«-Testergebnissen noch der
diesbezüglich signifikante Gruppenunterschied lassen die Interpretation einer kausalen
Richtung zu. Es ist weder geklärt, ob stärkere Kehlkopfaktivitäten zu einer besseren
musikalischen Klangvorstellung führen, noch ob eine gute Klangvorstellungsfähigkeit
ursächlich für stärkere Kehlkopfbewegungen verantwortlich ist. Möglich wäre auch, dass eine
(oder mehrere) unbekannte Variable(n) sowohl die Stärke motorischer Prozesse als auch die
Qualität der Klangvorstellung negativ oder positiv beeinflusst. Ein Faktor wie
»Prüfungsangst« kommt hierfür jedenfalls nicht in Frage, da zu erwarten wäre, dass die
Testleistung zurückgeht, während gleichzeitig die muskuläre Verspannung ansteigt. Die
motorischen Prozesse sind auch nicht allgemein auf sensiblere physiologische Reaktionen der
Musiker auf musikalische Reize zurückzuführen, da auch bei musikalischen Laien signifikante
Kehlkopfbewegungen bei Klangvorstellungen festgestellt wurden. Diese unterschieden sich
zudem in ihrer Stärke nicht von denen von Musikern. Diese Erkenntnis und der
Befund, dass die EMG-Werte in keinem Zusammenhang zur musikalischen Erfahrung
(musikalisches Lernalter, gespieltes Instrument und Singhäufigkeit) standen, sprechen
dagegen, dass Kehlkopfbewegungen bei musikalischen Klangvorstellungen z. B. durch
häufiges Singen im Laufe der allgemeinen musikalischen Entwicklung »erlernt«
werden.
Aus den Ergebnissen dieser Arbeit lassen sich also streng genommen keine
musikpädagogischen Konsequenzen ableiten. Die im Theorieteil angeführten Argumente
sowie einige Studien deuten aber daraufhin, dass eine enge Beziehung zwischen Stimme und
Gehör existiert. Die alltägliche Erfahrung aus dem Instrumentalunterricht zeigt, dass
Menschen, die keine Probleme haben, eine Melodie nach Gehör oder aus dem
(Langzeit-)Gedächtnis zu singen, diese auch relativ schnell auf ihr Instrument übertragen
können. Andernfalls gelingt dies wesentlich langsamer oder gar nicht. Melodien, von denen
man eine exakte Vorstellung hat, kann man auch singen. Umgekehrt erscheint es unmöglich,
eine Melodie zu singen, die man sich nicht oder nur sehr verschwommen vorstellen kann.
Möglicherweise kommen einem dann nur melodisch/harmonische Fragmente oder
rhythmische Details in den Sinn. Ein mehr oder weniger hörbarer Einsatz der
Singstimme scheint auch bei der Wiedererkennung von Musik nach Noten hilfreich zu
sein.
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