Gedächtnisprozesse im englischen auch als Priming bezeichnet. Denkbar ist,
dass während des erstmaligen Vorstellens eine mehr oder weniger unbewusste
Repetition des zuvor Gehörten in Form eines inneren Singens stattfindet. Dafür
spricht, dass die EMG-Werte beim ersten Vorstellen höher als beim ersten Hören
ausfielen. Die erhöhten EMG-Werte beim wiederholten Hören ließen sich dann als
eine aktivere Art des Zuhörens interpretieren. Geht man davon aus, dass sich der
Kehlkopf umso mehr bewegt, je mehr musikalische Information ins Gedächtnis
zurückgerufen werden kann, würde dies auch erklären, warum die EMG-Werte beim
wiederholten Vorstellen etwas höher ausfielen. Die Vorstellung des zuvor Gehörten würde
sich auch im Sinne einer intervenierenden Variablen auf die Muskelaktivität beim
abermaligen Hören auswirken. Im Falle eines solchen »Übeeffektes« wäre bei weiteren
Messungen ein umgekehrt U-förmiger Verlauf der Messwerte zu erwarten (Lernkurve).
Eine Habituierung würde dann erst nach mehreren weiteren Messwiederholungen
auftreten.
16.2. Klangvorstellung eines »Ohrwurms«
Bezüglich der Kehlkopfaktivitäten bei der klanglichen Vorstellung der selbst gewählten Melodie
zeigte sich kein signifikanter Unterschied zu der bei anderen Klangvorstellungsaufgaben.
Dennoch wurden hier im Vergleich die absolut höchsten EMG-Werte registriert.
Der errechnete Mittelwert fiel um ca. 0,5 μV höher aus als die durchschnittliche
elektromyographische Aktivität beim Musikhören. Bei der individuellen Wahl einer Melodie
sollten die Probanden darauf achten, dass ihnen deren klangliche Vorstellung aufgrund ihrer
großen Vertrautheit mit diesem Musikstück leicht fallen würde. Es ist daher davon
auszugehen, dass die gewählten Melodien besonders gut und auf vielschichtige Weise (z. B.
auditiv, visuell, emotional) im musikalischen Gedächtnis der Untersuchungsteilnehmer
repräsentiert/enkodiert waren. Dies scheint darauf hinzudeuten, dass ein Zusammenhang
zwischen der Qualität/Güte (Klarheit, Lebendigkeit, Detailliertheit) der Fähigkeit zur
musikalischen Klangvorstellung und den Kehlkopfbewegungen existiert. Es wurde jedoch
nicht ermittelt, ob der Vertrautheitsgrad mit dem jeweiligen »Ohrwurm« darauf
beruhte, dass die Probanden die Melodien vor der elektromyographischen Messung
besonders häufig gesungen oder auf einem Instrument gespielt hatten. Die freie Wahl
der Musikstücke brachte es zudem mit sich, dass die Vorstellungsinhalte an sich
sowie deren Komplexität nicht miteinander vergleichbar waren. So stellten sich die
einen einstimmige Gesangsmelodien vor, andere ließen ein Rock/Pop-Stück in
Bandbesetzung im Kopf Revue passieren und wiederum andere repetierten im Geist ein
Instrumentalwerk der klassischen Literatur. Die Vorgabe eines für alle verbindlichen
Vorstellungsinhaltes hätte zwar die Kontrolle dieser Variablen ermöglicht, wäre aber
gleichzeitig dem Hauptkriterium des hohen Vertrautheitsgrades nicht unbedingt zuträglich
gewesen.
Bei den bei der Vorstellung der vertrauten Melodie gemessenen EMG-Werten konnte kein
signifikanter Unterschied zwischen erster und zweiter Hälfte der einminütigen Messdauer
festgestellt werden. Ein Automatisierungs-/Habituationseffekt trat somit auch hier
nicht auf. Die Kehlkopfaktivität war sogar in der zweiten
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