ist zusätzlich eine Orchesterbegleitung zu hören.
Möglicherweise zeigte sich kein signifikanter Effekt, weil sich die Musikausschnitte in
ihrer Komplexität nicht unterschieden. Vielleicht definiert sich Komplexität in
der Musik über andere Kriterien als die berücksichtigten. Es könnte auch sein,
dass der Aspekt der Komplexität für inneres Singen im Sinne einer Imitation oder
Simulation völlig irrelevant ist, weil wir unsere Aufmerksamkeit vielleicht nur auf
hervorstechende Merkmale der Musik (wie z. B. Melodiehöhepunkte, überraschende
harmonische Wendungen, rhythmische Betonungen, Beginn und Ende von Phrasen,
usw.) richten und auch nur diese im Gedächtnis behalten. Dies würde zumindest
erklären, warum sich die Kehlkopfprozesse bei den verschiedenen Musikstücken nicht
unterschieden.
»Interaktion« von Vertrautheit und Komplexität
Die oben beschriebene knapp nicht signifikante Wechselwirkung zwischen Vertrautheit und
Komplexität ist im Wesentlichen auf die beim Hören und Vorstellen der Musik von Johann
Sebastian Bach gemessenen EMG-Werte zurückzuführen. Bei diesem Ausschnitt aus der
»Matthäuspassion« zeigte sich bei allen Untersuchungsteilnehmern unabhängig von der
Reihenfolge der Hör- und Vorstellungsaufgaben die größte Kehlkopfaktivität. Aufgrund des
bereits angesprochenen Problems der Vergleichbarkeit der verwendeten Musikstücke, lässt
sich nicht mit Sicherheit sagen, warum die motorischen Prozesse im Kehlkopf beim
Vorstellen dieses Musikbeispiels signifikant höher als bei den anderen ausfielen.
Möglicherweise spielten hier tatsächlich Faktoren wie musikalische Komplexität bzw.
Reichhaltigkeit der Komposition eine Rolle. Bei Bach erklangen gleichzeitig vier
Chorstimmen mit Orchesterbegleitung (Tutti), wohingegen das Chorwerk von Johannes
Brahms aufgrund der zeitlich versetzten Stimmeinsätze eher einen fugenartigen
Charakter aufwies. Vielleicht wurden deshalb bei Bach die Chorstimmen nicht
linear verfolgt, sondern zwischen den Stimmen »hin- und hergeschaltet« (z. B.
zwischen Sopran und Bass). Wenn man davon ausgeht, dass die nachgewiesenen
motorischen Prozesse etwas mit stimmlicher Imitation oder Simulation zu tun haben,
so entstünden durch diese Vorgehensweise größere Tonintervalle, was wiederum
stärkere Kehlkopfbewegungen bedingen könnte. Andere Faktoren wie Gesanglichkeit,
emotionale Wirkung oder Intensitätsunterschiede der Stücke sind ebenfalls nicht
auszuschließen.
Messzeitpunkt
Entgegen der Hypothese 5 erhöhten sich die EMG-Werte beim Hören und Vorstellen von
Musik im Zeitverlauf. Der Effekt fiel allerdings nur bei der Messwiederholung der
Höraufgabe signifikant aus. Ansonsten unterschieden sich die EMG-Werte beim Musikhören
und Vorstellen des Gehörten der beiden Messungen nicht. Ein Habituierungs- bzw.
Automatisierungseffekt zeigte sich somit offensichtlich nicht. Man könnte dies als Indiz für
die Simulationstheorie deuten. Möglicherweise nehmen die Messwerte beim Hören bei einer
Messwiederholung zu, weil dann durch die Wiederholung mehr Informationen behalten und
in der Vorstellung/Erinnerung imitiert/simuliert werden. Die motorischen Prozesse beim
erstmaligen Hören könnten sozusagen neue Wahrnehmungserlebnisse bahnen, weswegen man
diese
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