- 13 -Schmidt, Patrick L.: Interne Repräsentation musikalischer Strukturen 
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dass die direkte Stimulation des Kortex in den prä- und postzentralen Gyri (bestimmte Hirnwindung), im supplementär motorischen Areal sowie im dorsalen Teil des Sulcus cinguli (bestimmte Hirnfurche) Lautäußerungen bewirken kann (Perry et al. 1999; Penfield & Roberts 1959).

Die Kontrolle der Muskeln beim Sprechen und Singen erfolgt – wie oben bereits angemerkt – nicht nur zentral gesteuert, sondern zugleich auch über vollautomatische so genannte intraphonatorische Reflexe. Afferenzen aus dem Bereich der Ansatzräume – vor allem als Lage- und Bewegungsempfindungen – scheinen gegenüber dem Kehlkopfinnern von großer Bedeutung zu sein. Sie informieren sehr differenziert über den Funktionszustand insbesondere von Unterkiefer, Gaumensegel, Zunge und Lippen. Auch die Kehlkopfstellung wird auf diese Weise kontrolliert. Die Reflexe der Stimme nehmen ihren Ausgangspunkt bei Rezeptoren in Muskeln und Schleimhäuten, die auf Druck und Dehnung reagieren und den momentanen Zustand des Systems melden (Sundberg 1997). Bei einer Ausschaltung dieser Rezeptoren durch Anästhesie kommt es zu Problemen beim Singen, nicht jedoch beim Sprechen (Spitzer 2002). Möglicherweise erfordert Sprache nicht dasselbe Ausmaß an genauer Kontrolle wie das Singen. Diese Kinästhesien sind eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Muskelaktivitäten der Artikulation mit denen der Phonation koordiniert werden können.

Bei der Kontrolle der Stimme spielen nach Jürgen Wendler et al. (1996) auch die Leistungen eines akustischen Analysators (postphonatorische audiophonatorische Kontrolle) eine wichtige Rolle. Sie richten sich nicht nur auf Grundfrequenz, Lautstärke und Dauer von Tönen, sondern auch auf Feinheiten von Klängen und Geräuschen (Klangfarbe, Stimmausdruck, Stimmung). Hörreize aus der Umgebung beeinflussen die Stimmgebung in starkem Maße. Dabei ergibt sich nicht nur eine direkt–reflektorische Steuerung der an der Stimmgebung beteiligten Organe über den Höranalysator, sondern es beteiligen sich auch höhere zentrale Funktionen. Jede stimmliche Äußerung ist also zugleich auch eine »Stimmungsäußerung«. Höreindrücke von Stimmen der Umwelt werden stets unter Beteiligung psychischer Vorgänge mehr oder weniger intensiv verarbeitet. Aus der Art der Verarbeitung ergeben sich Rückwirkungen auf die Stimmproduktion des Perzipierenden – z. B. in der Anpassung an den Tonfall des Gesprächspartners oder an das stimmliche Vorbild im Gesangsunterricht (Wendler et al. 1996; Sundberg 1997). Dieses Phänomen wird in der psychologischen Literatur auch mit dem Begriff der Gefühlsansteckung bzw. -übertragung beschrieben (Dorsch 1998, S. 309).

Berücksichtigt man sowohl die Modifikationsmöglichkeiten durch niedrigere und höhere Funktionsstufen, wird deutlich, dass die Steuerungsvorgänge für die Stimmgebung kaum übersehbar ablaufen.

Die Abbildung 1.4 auf der nächsten Seite versucht den hochkomplexen ganzheitlichen psychophysischen Prozess der menschlichen Stimme zusammenfassend zu veranschaulichen.

Dieses Kapitel hat gezeigt, dass es bereits beim Vorstellen eines zu singenden Tones zu motorischen Prozessen im Kehlkopf kommt. Es ist jedoch denkbar, dass diese Muskelbewegungen allein auf den Phonationsvorgang, d. h. die Vorbereitung einer Lautäußerung, zurückzuführen sind. Es stellt sich daher die Frage, ob auch


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