- 12 -Schmidt, Patrick L.: Interne Repräsentation musikalischer Strukturen 
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Phonationsklang um ungefähr 350–700 msec voraus.2
2 A. N. Sokolov zufolge ist diese Latenzzeit bei Schulkindern sogar noch länger und erreicht 500–1000 msec.

Etwa 50 bis 100 Millisekunden, nachdem die Stimmbänder mit einer aufeinander zugerichteten Bewegung begonnen haben, steigt der Luftdruck in der Luftröhre unter ihnen (Faaborg-Andersen & Edfeldt 1958; Sundberg 1997). Bei diesen unbewussten aber dennoch von der willkürlichen Muskulatur vorgenommenen präphonatorischen Einstellungen geht es um Bruchteile von Millimetern und um sehr kleine Unterschiede in der Spannung, um genau den Ton zu treffen, den man tatsächlich singen will. Dies setzt voraus, dass man sich die zu singenden Töne klanglich vorstellen kann. Auch wenn es sich bei diesen Einstellungen der Larynxmuskulatur in erster Linie um die Vorbereitung der Ausführung einer Bewegung (Singen) handelt, so zeigt sich hier dennoch bereits, dass Klangvorstellungen und motorische Prozesse eng miteinander verknüpft sind.

Die Aktivitäten des Zentralnervensystems während der Stimmgebung müssen die Funktionskreise Atmung, Glottis und Ansatzräume gleichermaßen berücksichtigen und aufeinander abstimmen. Neben der chemischen und physikalischen Atemregulation für Atemvolumen, Atemfrequenz und Atemtyp, die kortikal beeinflussbar ist, kommt Reflexmechanismen zur Einstellung des glottischen Widerstandes auf den subglottischen Druck wesentliche Bedeutung zu.

Die Innervation der Kehlkopfmuskeln stellt sich nach Jürgen Wendler et al. (1996) folgendermaßen dar: In den Nn.vagi (Vagusnerven) verlaufen sowohl afferente als auch efferente periphere Nerven, die von Muskeln- und Sehnenrezeptoren der Larynxmuskulatur ausgehen bzw. diese ansteuern.3

3 »Nerv« wird hier mit »N.«, »Nerven« mit »Nn.« abgekürzt.

Vor allem Sensorik, Willkürmotorik sowie extrapyramidal-motorische und limbisch-emotionelle Einflüsse greifen steuernd in den Phonationsvorgang ein. Der N.laryngeus superior besteht aus einer motorischen Bahn, die den M. cricothyroideus innerviert und einer sensorischen Bahn, die zur Schleimhaut des Kehlkopfes zieht. Die übrigen Kehlkopfmuskeln versorgt der N.laryngeus recurrens. Schon auf der niedrigsten Funktionsstufe sind zentralnervöse Verknüpfungen und gegenseitige Beeinflussungsmöglichkeiten vielfältig vorhanden. Die Signale durchlaufen in den sensorischen und motorischen Vaguskernen des Rautenhirns zahlreiche Synapsen, an denen sie sich gegenseitig hemmend und fördernd beeinflussen können und mit Impulsen aus atmungssteuernden Strukturen koordiniert werden. Das Zusammenspiel der Kehlkopfmuskeln wird also zu einem großen Teil von den autonomen Schaltkreisen eines evolutionsgeschichtlich alten Hirnareals (Hirnstamm) bestimmt. Beim Singen und Sprechen sind aber auch eine ganze Reihe höherer (kortikaler) Zentren beteiligt: der motorische Kortex zur direkten Bewegungssteuerung; das Rolandische Operculum, in dem sich die Larynxrepräsentation befindet; supplementär motorische Areale (SMA) zur Programmierung der Bewegung; der anteriore Gyrus cinguli zur Kontrolle und auditorische kortikale Areale zur gleichzeitigen Wahrnehmung des Gesungenen (vgl. Olthoff 2005; Schultz-Coulon 2002; Spitzer 2002; Wendler et al. 1996).

Das supplementär motorische Areal zeigt bei verschiedenen motorischen Aufgaben wie der Sprachproduktion (Petersen et al. 1988; 1989) oder dem Singen (Perry et al. 1999) einen konsistenten Anstieg des zerebralen Blutflusses. Elektrische Stimulationsexperimente bei Patienten während Gehirnoperationen zeigten zudem,


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