- 93 -Schläbitz, Norbert: Mit System ins Durcheinander  
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tritt, trotz der konstatierten Gleichwertigkeit, hervor, und zugleich ist damit der Zeichenbegriff der unlöslichen zweiwertigen Einheit von Signifikat/Signifikant dekonstruiert. »Es muss ein transzendentales Signifikat geben, damit so etwas wie eine absolute und irreduzible Differenz zwischen Signifikat und Signifikant zustande kommt« (Derrida 31990: 38). Und als ein solches transzendentales Signifikat bedarf es selbst keiner bedeutungsschaffenden Umwelt, sondern steht für sich als selbstgenügsame Größe. Saussures Proklamation des Zeichens mit seiner untrennbaren Verknüpfung von Signifikat/Signifikant ist damit aufgehoben.

Derrida ist nun bemüht aufzuzeigen, dass das im sprachlichen Zeichen verortete Signifikat sich als Effekt einer vorgängigen Signifikantenkette herleitet. Mehr oder weniger wird hier der Bezugspunkt umgedreht. Der Signifikant bezieht sich nicht auf ein transzendentales Signifikat, sondern das Signifikat, das nunmehr nicht mehr transzendental gedacht werden kann, schuldet seine Existenz Signifikanten. Damit aber wird zur Bezugsgröße der Sprache die Schrift und wird die Privilegierung der Sprache aufgehoben. Somit wird eine unlösliche Verschränkung beschrieben und das Ziel, das Derrida angibt, ist es zu zeigen, »daß es kein sprachliches Zeichen gibt, das der Schrift vorherginge« (Derrida 31990: 29). Wenn Derrida nun aufzeigen will, dass die von Stimme artikulierte Sprache schriftgemäß operiert, soll das aber nicht heißen, dass der Versuch gemacht werden soll, die Wahrheit als erste unmittelbare wie universale Schrift zu deklarieren, sondern er will versuchen, diese Schrift ihrer Eigentlichkeit zu entkleiden, deutlich zu machen, dass das Eigentliche von Sinn, die Präsenz von Sinn nur als Metapher von Bedeutung ist (Derrida 31990: 31). »Zu schreiben wäre eine Geschichte dieser Metapher, die der göttlichen oder natürlichen Schrift immer schon die menschliche und mühevolle, endliche und künstliche Inschrift entgegensetzt« (Derrida 31990: 31). Die erste Schrift wird aufgehoben und als Nachschrift von Signifikantenströmen deklariert. »›Signifikant des Signifikanten‹ beschreibt [. . . ] die Bewegung der Sprache in ihrem Ursprung« (Derrida 31990: 17).

Hier finden wir im Grunde den Differenzbegriff Derridas wieder. Ein Laut für sich bedeutet nichts. Bedeutung ergibt sich erst aus der Konstellation der Zeichen zueinander, das Einzelelement selber erweist sich als bedeutungslos. Eine jede gewonnene Vorstellung (Signifikat) bezieht sich auf anderes und versteht sich nicht von selbst. Differenz meint also nicht den Abstand zu einem Original, sondern permanente Sinn-Abweichung, geschuldet dem Spiel der Signifikanten. Wie kommt es dazu? Überall, wo man auf einen letzten Sinn (Signifikat) zu stoßen glaubt, werden allein erläuternde Signifikanten vorgefunden. Denn will ich bspw. den Begriff »Sekunde« verstehen, bedarf es des (mitgedachten) Kommentars: »Intervall« oder »Zeitmaß«. Und natürlich ist auch »Intervall« nicht aus sich heraus zu verstehen, ebenso wenig wie »Zeitmaß« – Die Folge: Ein weiterer Kommentar, usf. Da Zeichenwelten in der Regel nicht den »Einwortsatz« als privilegierte Form vorsehen, wachsen Kommentare mit Kontextuierungen: »Wart mal ’ne Sekunde«, überschreitet das Sekundemaß und mag zudem eine Beziehung über das Inhaltliche kommunizieren. Wenn der verortete Ursprung nur durch den erläuternden respektive still im Hintergrund mitlaufenden Kommentar verstanden werden kann, verfällt das Signifikat zu einem Netzwerk von Signifikanten. Insofern verweisen auch Texte nicht auf Signifikate, sondern stellen die (gleichberechtigten) Fortschreibungen


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