- 91 -Schläbitz, Norbert: Mit System ins Durcheinander  
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macht. Sinnordnungen wie die Reklamation auf ewige Gültigkeit von Werken sind so aus dem Horizont einer stets vorgängigen Schriftordnung entworfen.

Derrida zeigt in der »Grammatologie« und anderen Schriften, dass die physische Präsenz keineswegs Garant für präsenten Sinn ist, sondern dass dem Reden die Absenz und damit jeglichem verfügten Sinn gleichsam konstitutiv ist (vgl. Derrida 31990). Er verabschiedet damit den Gedanken an das saussuresche Signifikat (Sinn, Bedeutung, Wahrheit . . . zuletzt Gott) über das Herleiten der »différance«. Der Neologismus différance ist abgeleitet vom Verb différer, das mit (1.) »unterscheiden« und (2.) »verschieben, aufschieben« übersetzt werden kann (vgl. Derrida 1990: 83). In dem Kunstwort ist ein räumlicher (unterscheiden) und zeitlicher (verschieben, aufschieben) Aspekt ausgedrückt. Das soll heißen: Was immer gesagt wird, muss sich von anderen Zeichen unterscheiden (räumlich), damit sie aufeinander einwirken können, zugleich sind jene Unterscheidungen selbst Effekte des Unterscheidungen setzenden Spiels mit Zeichen und haben ihre Geschichte (zeitlich). »Was sich différance schreibt, wäre also jene Spielbewegung, welche diese Differenzen, diese Effekte der Differenz, durch das ›produziert‹, was nicht einfach Tätigkeit ist. Die différance, die diese Differenzen hervorbringt, geht ihnen nicht etwa in der einfachen und an sich unmodifizierten, in-differenten Gegenwart voraus. Die différance ist der nicht-volle, nicht-einfache Ursprung der Differenzen. Folglich kommt ihm der Name ›Ursprung‹ nicht mehr zu« (ebd.: 89).

Man kann mit Derrida unter der différance ein – wie er sie selbst bezeichnet – Bündel verstehen, in dem »die unterschiedlichen Fäden und die unterschiedlichen Linien des Sinns« aufeinandertreffen, miteinander verwoben werden und wieder auseinanderlaufen (Derrida 1990: 77). Der nicht vernehmbare, allein graphisch wahrnehmbare Unterschied des ›a‹ der différance (zum ›e‹ der différence) »signalisiert [. . . ], daß es entgegen einem weitverbreiteten Vorurteil keine Lautschrift im reinen und strengen Sinne gibt. Die sogenannte Lautschrift kann prinzipiell und von Rechts wegen, und nicht allein auf Grund einer technischen oder empirischen Unzulänglichkeit, nur funktionieren, wenn sie nicht-lautliche ›Zeichen‹ (Interpunktion, Zwischenraum etc.) in sich aufnimmt« (ebd.: 79). Die Lautschrift hat so im Werden ihren Ort, der – wiewohl wirkend – im Verborgenen bleibt. Das »a der différance [. . . ] bleibt stumm, verschwiegen und diskret, wie ein Grabmal« (ebd.: 78), das selber nur Verweis und Spur bietet und keine Präsenz. Das Konzept der différance verabschiedet die Vorrangigkeit der Stimme und setzt die Schrift ins Bewusstsein, womit die »Verdrängung der Schrift« (Derrida 31990: 12, vgl. weiter: 27) aufgehoben und die verdrängte différance aufscheint. Verdrängt soll also heißen, dass alle Sinnkonstitution immer schon auf die schriftgemäße Welt der Zeichen angewiesen war, ohne eines reinen Sinnes zu bedürfen. »[D]er Sinn als letzte Schicht des Textes [ist] immer geteilt oder vielfältig« (Derrida, nach Welsch 21996: 260).

Derrida bezieht sich – wie schon erwähnt – in seiner Argumentation auf den Begriff des sprachlichen Zeichens bei Saussure, an dem er deutlich machen will, dass Saussure, obwohl er Sprache als bedeutungsoffenes System beschreibt, logozentrisch [also auf ein Ziel hin] argumentiert. Vergegenwärtigen wir uns zunächst mal, was nach Saussure ein sprachliches Zeichen auszeichnet. Das sprachliche Zeichen ist zweiwertig, bestehend aus Signifikant (Bezeichnendes=Lautbild, [Bsp.:Haus]) und Signifikat (Bezeichnetes (Bedeutung/Sinn)=Vorstellung, [Bsp.: ]). Signifikant


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