nicht hinreichend
geleistet. Mit anderen Worten:
Die Institutionen, die sich der Aufarbeitung der
musikalischen Kultur verantwortlich fühlen, stehen der Gegenwartsmusik sprachlos
gegenüber, weil ihnen die rechte Sprache fehlt. Sie finden auch mit das Verständnis
suchender Verzögerung oftmals nicht mehr die rechten Worte für eine zeitgenössische
Musik.
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Diese Sprachlosigkeit, die sich neben schlichter Ignoranz für einen Großteil des aktuellen
Musiklebens eben auch in wortreichen Negativzuschreibungen für »Populäre Musik«
ausdrücken kann, hat wohl auch damit zu tun, dass eine allgemein-verbindliche neue Sprache
zur Beschreibung aktueller musikalischer Prozesse nicht nur nicht in Sicht ist, sondern
auch nicht mehr zu haben ist und man sich auf das Wagnis der Vielsprachigkeit einlassen
müsste, wovon man aber sicherheits(un)bewusst lieber Abstand nimmt. Statt dessen werden
weiterhin umfangreiche Arbeiten zu den alten Meistern und ihrer Musik geschrieben, wobei
es immer schwieriger wird, Themen aus alten und bestuntersuchten Quellen abzuleiten. Da
kann es dann geschehen, dass tausend Seiten umfassende Promotionen zu musikalischen
Nebensächlichkeiten eines bekannten Komponisten verfasst werden, weil das Wesentliche der
Musik schon mannigfach und aus all möglichen Perspektiven beleuchtet und aufgearbeitet
wurde. So werden Nichtigkeiten zur Hauptsache erklärt, weil zur Hauptsache längst nichts
mehr zu sagen ist. Oder: »Beständig lebt diese Zeitschrift [Archiv für Musikwissenschaft;
Anm. N.S.] von der Hand in den Mund. Nicht selten ist das Erscheinen eines Heftes
wegen Mangel an Beiträgen mit Sorge verbunden« (Eggebrecht 2000: 5). Kann es nicht
sein, dass dieser Mangel auch aus dem Mangel an neuen Themen sich ableitet? Ein
Indiz hierfür mag denn auch sein, dass nach entsprechendem Studium Arbeitsvorhaben
salopp zurückgewiesen werden mit dem Hinweis: »Was wollen Sie zu dem Komponisten
xyz denn noch schreiben, zu dem ist schon alles geschrieben worden?« Wie aber sollen
neue Themen sich auch ergeben, wenn Studierende dominant hauptsächlich mit der Musik
der Vergangenheit konfrontiert werden? Natürlich können und sollen auch differenzierte
wissenschaftliche Arbeiten zu den Meistern der Vergangenheit weiterhin möglich sein, auch
weil andere Zeiten andere Sichtweisen und Erkenntnisse zu schon Erörtertem eröffnen.
Die Problematik ist, dass es mittlerweile ein schwerwiegendes Missverhältnis gibt zwischen
wissenschaftlichem Schwerpunkt mit dem Blick zurück und entsprechender Hochschullehre
auf der einen Seite und aktuellem Musikleben auf der anderen Seite, das in der Wissenschaft
und Lehre von Ausnahmen abgesehen sträflich vernachlässigt wird. Dieses Missverhältnis wird
auch daran deutlich, dass dort, wo man »Populäre Musik« doch in Vorlesungsverzeichnissen
Studierenden als Thema anbietet, diese oft genug mit »Jazz« übersetzt, gleichgesetzt und
verhandelt wird. Jazzmusik mag und ist ganz fraglos in großen Teilen populär, dem Phänomen
»Populäre Musik« wird man mit dominantem Bezug auf sie unter Ausklammerung der
Vielfalt anderer, aktueller Musik nicht ansatzweise gerecht.
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In seinem letzten, posthum veröffentlichten Aufsatz befragte Hans Heinrich
Eggebrecht die Musikwissenschaft nach ihrem Sinn bzw. ihrer Bestimmung. Er kam,
unabhängig von den hier gemachten Überlegungen, zu dem Schluss einer Entfremdung.
»Das Altern der Musikwissenschaft zeigt sich in ihrer existentiellen Entfremdung. Ihr
Sinn wäre das Existentielle, das als solches den Menschen betrifft in seinem aktuellen
Dasein, den Menschen als Einzelnen in seiner Lebenswirklichkeit« (Eggebrecht 2000: 4).
Zu dieser Lebenswirklichkeit gehört gerade auch die Musik der Gegenwart, die sich
digitaler Instrumente bedient oder auch aus virtuoser analoger Plattenspielerkunst sich
speist.
Eggebrecht konstatiert in dem gleichen Aufsatz, dass bewährte Themenstellungen wie
musikgeschichtliche Quellenforschung, die Auseinandersetzung mit dem geschichtlich
überlieferten Werk u.a.m. auf dem Rückzug sind zugunsten der »Auseinandersetzung
mit dem 19. und 20. Jahrhundert und insbesondere mit der Musik der Gegenwart«
(ebd.: 7). Trotz dieses Gegenwartsbezuges von Seiten Eggebrechts wird ein Mangel
desselben an dieser Stelle konstatiert dergestalt, dass eine Auseinandersetzung mit der
Musik der Gegenwart eben nicht hinreichend das breit an-