4.
Zusammenfassung
Als Ausgangspunkt dieser Arbeit diente die von den Musikpsychologen Rudolf
Maria Brandl und Helmut Rösing aufgestellte These, dass ein angemessenes
Verstehen fremder Musiken, keinesfalls durch spontane Einfühlung zu erreichen
sei.
160
Demgegenüber standen die Beobachtungen des Verfassers bei Konzerten nordindischer
Kunstmusik auf europäischem Boden, die Aussagen einiger indischer Musiker, die einem
europäischen Publikum oftmals sogar gegenüber einem indischen den Vorzug
geben und nicht zuletzt die Ergebnisse der beiden einzigen Studien zu diesem
Thema.
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Durch die Beleuchtung der ästhetischen Theorie (Kapitel 2) konnte gezeigt werden,
dass Ästhetik in der nordindischen Kunstmusik auf das engste mit emotionalem Erleben
verwoben ist. Damit wurde der Grundstein für die eigentliche Untersuchung gelegt, denn
nur unter der Voraussetzung, dass emotionales Erleben für das Verständnis der Musik
konstitutiv ist, könnte die These, dass spontane Einfühlung unweigerlich zu
Missverständnissen führe, widerlegt werden.
Der kurze Abriss der ästhetischen Theorie führte außerdem zu der Erkenntnis, dass
jeder rāga, als zentrales Element der nordindischen Kunstmusik, einen bestimmten
emotionalen Gehalt trägt, welcher, der Theorie zufolge, auf den Zuhörer übertragen
wird.
Da die oben erwähnten Studien von Keil/Keil und Deva/Virmani einerseits diese
Behauptung zu bestätigen schienen, andererseits aber einige methodische Differenzen
aufwiesen, wurde der von ihnen durchgeführte Versuch in leicht modifizierter Form,
dafür aber von vornherein interkulturell angelegt, wiederholt (Kapitel 3). Um die
tatsächlich erzielten Wirkungen der fünf verwendeten Musikexzerpte mit den dahinter
liegenden Intentionen bzw. dem emotionalen Gehalt vergleichen zu können, wurde die
Technik des semantischen Differentials angewandt. Drei Teilergebnisse des semantischen
Differentials werden benötigt, um zu aussagekräftigen Interpretationen über
das musikalisch-emotionale Erleben einer Gruppe von Personen zu gelangen,
die Profile (3.6), die Faktorladungen und die Bedeutungsdimensionen (3.7).
Weder bei den Faktorladungen noch bei den Bedeutungsdimensionen ergaben
sich sinnvoll interpretierbare Ergebnisse, weswegen sich ein Vergleich einzig
auf die Profile stützen musste. Da diese jedoch nur ein ungefähres Bild des
musikalisch-emotionalen Erlebens einer Gruppe von Individuen offenbaren und
außerdem keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit erheben können, mussten die