- 5 -Schmidt, Markus: Ästhetik und Emotion in der nordindischen Kunstmusik 
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2.  Zur ästhetischen Theorie

In der Einleitung wurde darauf hingewiesen, dass das gezielte Hervorrufen bestimmter emotionaler Zustände den Kern der Ästhetik nordindischer Kunstmusik darstellt. Die Geschichte auch nur dieses Teils der ästhetischen Theorie detailliert nachzuzeichnen, würde den Rahmen einer Magisterarbeit bei weitem sprengen. Daher soll das Konzept anhand einiger weniger Meilensteine der musiktheoretischen Literatur und der Geschichte Indiens verdeutlicht werden.

2.1.  Das Nāṭyaśāstra des Bharata

Die älteste uns zugängliche Quelle zur musikästhetischen Theorie Indiens ist das Nāṭyaśāstra des Bharata (oder Bharata Muni, wie er auch bezeichnet wird), das antike Lehrbuch der Dramaturgie. Eine exakte Datierung des Textes ist bis heute nicht gelungen, allgemein wird jedoch angenommen, dass er zwischen dem 1. Jahrhundert v. Chr. und dem 1. Jahrhundert n. Chr. verfasst wurde. 7

7   Vgl. Koch, 1995, S. 6 f und Veer, 1987, S. 29 f.

Auch die Frage, ob die Autorschaft tatsächlich einer Einzelperson zugeschrieben werden kann, oder ob sich hinter dem Namen Bharata eine Gruppe von Autoren verbirgt, muss vorläufig offen bleiben. 8
8   Vgl., Koch, 1995, S. 6 f und Veer, 1987, S. 29 f.

Im Kontext dieser Arbeit spielt jedoch keine dieser Fragen eine nennenswerte Rolle.

Das Nāṭyaśāstra wurde als Enzyklopädie der Bühnenkunst konzipiert und umfasst alle erdenklichen Aspekte des altindischen Theaters, angefangen von Bau und Anlage des Theaters über Arten des Schauspiels, Mimik, Gestik, Tanz, Schminke, Kostüme bis hin zur Musik. 9


9   Vgl. Chandrasekharan (Hrsg.), 1980, S. 5 ff.

Im Gegensatz zu späteren theoretischen Schriften wird die Musik hier also nicht als autonome Einzelkunst betrachtet, sondern als integraler Bestandteil des Theaters.

Die Kapitel 6 und 7 behandeln die rasa-Lehre, das ästhetische Zentrum des Textes, aus dem heraus sich die zahlreichen detaillierten Anweisungen für Schauspieler, Tänzer, Musiker etc. entfalten. 10

10   Vgl. Chandrasekharan (Hrsg.), 1980, S. 9 f.

Um verstehen zu können, welche Rolle die Ästhetik als Quelle aller künstlerischen Tätigkeit einnimmt, und wie eng dabei ästhetisches Erleben und spirituelle Erfahrung miteinander verknüpft sind, sei an dieser Stelle ein Kommentar zum Nāṭyaśāstra aus dem 13. Jahrhundert zitiert: »This art is indeed capable of securing the four fold objects of life, namely virtue (Dharma), wealth (Artha), conjugal happiness (Kama) and salvation (Moksa), increasing one’s fame, promoting self-confidence in speech and demeanour, making for success in life, and increasing one’s skill in handling men and things. It will help the growth of liberality, firmness, courage and grace in movements. It will drive away pain, sorrow, despair and mental affliction (…).« 11

11   Chandrasekharan (Hrsg.), 1979, S. 12 (der Kommentar stammt aus dem 7. Kapitel des Saṅgitaratnākara des Śārṅgadeva


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