»The
expression of a mode is the sum of it’s different notes, defined by their relationship
to the tonic. In each raga, each of the different notes is attributed a definite
meaning.«
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So unterschiedlich die vorgestellten Theorien auch sein mögen, liegt auch ihnen
die Annahme zugrunde, dass ein rāga als Träger und Überträger eines zwar
komplexen, aber dennoch eindeutig identifizierbaren emotionalen Gehalts zu gelten
hat.
Theoriebildung auf Grundlage natur- und humanwissenschaftlicher Methoden lautet
das Schlagwort der dritten Gruppe von Theoretikern. Die Ansatzpunkte sind dabei
ebenfalls äußerst vielfältig und umfassen die Konsonanz- und Dissonanzprinzipien
der musikalischen Akustik ebenso wie medizinische und neuropsychologische
Messverfahren. Der physiologische Zusammenhang von Atmung und Gesang wird zur
Verdeutlichung von Expressivität herangezogen, sowie die Analogie von Sprache und
Musik.
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All diesen Verfahren ist gemeinsam, dass sie den intrinsischen Zusammenhang von Musik
und Stimmung nur bis zu einem gewissen Grad bestätigen bzw. widerlegen können, und
somit liefern sie keine eindeutigen Beweise für oder gegen die Theorie von rāga-s als
Auslöser spezifischer Emotionen. Allerdings lässt sich festhalten, dass einige Forscher, wie
beispielsweise Shyamala Vanarase, einen strukturierten konzeptuellen Rahmen vorlegen,
in dem die psychologische Analyse des ästhetischen Erlebens unternommen werden
könnte.
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Empirische Untersuchungen zur affektiven Bedeutung nordindischer
Kunstmusik sind nach wie vor rar. Zu nennen sind in diesem
Zusammenhang einerseits die bereits häufig zitierte Studie von Suvarnalata
Rao,
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die in
der akustischen Analyse unterschiedlicher Interpretationen eines rāga einen Zusammenhang
von der Verwendung bestimmter melodischer Phrasen und mikrotonaler Strukturen mit
dem affektiven Gehalt feststellen konnte, und andererseits die Untersuchungen von B.C.
Deva,
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auf die im dritten Kapitel noch näher einzugehen sein wird.
2.7. Zusammenfassung: rasa und rāga aus heutiger Sicht
Durch die bisherigen Ausführungen dürfte klar geworden sein, dass sich die
zeitgenössischen Meinungen zur rasa-Lehre als äußerst heterogen erweisen. Abgesehen
von einigen Ausnahmen scheint diese in der Aufführungspraxis tatsächlich keine
nennenswerte Rolle mehr zu spielen. Im Gegensatz dazu ist die ihr zugrunde liegende
Idee, nämlich die gezielte Vermittlung bestimmter emotionaler Zustände jedoch höchst
lebendig.
Anhand der untersuchten rāga-s wird im nächsten Kapitel zu erfahren
sein, dass auch die Zuschreibung dieses bestimmten emotionalen Gehalts zu
den rāga-s durch verschiedene Musiker und Musiktheoretiker durchaus nicht
immer einheitlich ist, dass sie jedoch in ihrem Kern eine gewisse Konstanz
aufweist.
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