2.4.5. Rückschau auf 1997: Warum ist ein wirtschaftlicher Nutzen bisher
ausgeblieben?
Betrachtet man das Startjahr 1997, so erkennt man vielfältige Potenziale und auch den
anfänglichen Willen der Musikindustrie, sich aktiv auf diese neuen Möglichkeiten
einzulassen, etwa mit dem MODE-Projekt (s. o.). Hemmnisse waren zunächst allein die
geringen Leitungskapazitäten und die geringe Komprimierungsfähigkeit der ersten
Digitalformate der Songs einerseits und die Sorge, Stücke, die einmal digital im Netz
sind, nicht mehr kontrollieren und abrechnen zu können.
Dies führte bei der Musikindustrie zu dem Eindruck, dass noch genügend
Zeit für die Sicherung ihrer Rechte bleibe. Zugleich beschränkte sie wegen des
Risikos, dass einmal im Netz vorhandene digitale Musikfiles dann ohne Probleme
kostenfrei weitergegeben werden konnten (vgl. z. B. den unerwarteten Erfolg der
Online-Musiktauschbörse Napster), einerseits die Online-Bereitstellung stark und
intensivierte andererseits die Arbeit an komplizierten Kopierschlüsseln und
Urhebersignaturen. Die von der Wirtschaft unterschätzte Dynamik des Marktes
insbesondere bei dem Ausbau der Leitungskapazitäten (T-ISDN und T-DSL) und der
Verbesserung der Komprimierungsverfahren (heute MP3) erhöhte den Druck
zusätzlich.
Am Ende steht mittlerweile die Musikwirtschaft nun als regelungswütiger und
profitorientierter Gegner des Kunden da, der sich oft zu Unrecht kriminalisiert und
verfolgt fühlt. Das eigentlich von jedem Wirtschaftsunternehmen gewünschte Verhältnis
des Anbieters als Dienstleister und »Wunscherfüller« des Kunden ist mehr als
gestört. Dabei sind die Ansprüche der Musikindustrie verständlich, doch ist das
subjektive Gefühl des Kunden mittlerweile unumkehrbar negativ geprägt. Hier
hätte eine frühe offensive Unterstützung des trägerlosen Bezuges mit einem
begrenzten Teil des Repertoires oder spezieller Remixes für das Internet einen
breiten Massenmarkt stärken und zu einem positiven Image führen können.
Zunächst hätte die Anwendung der Technik vereinfacht und verbilligt werden
müssen, damit die Nutzer sich mit der nicht unkomplizierten und aufwendigen
Techniknutzung vertraut machen können (Downloadzeiten, Klangqualität, einfache
Weiternutzung der Soundfiles). Stattdessen hat sich die Musikindustrie in einen
»Aufrüstungswettkampf« gegen die Kunden begeben, den sie wahrscheinlich nicht
gewinnen kann, der große Kräfte bindet und der das negative Image weiter
verstärkt.
Auch wenn nicht abschließend geklärt werden kann, ob eine wirtschaftliche
Tragfähigkeit erreicht worden wäre, so ist die heutige Situation doch sehr bedenklich und
führt auch nicht zu einer Gesundung der Musikwirtschaft. Vielmehr muss festgehalten
werden, das die Chancen der Pionierzeit nur wenig genutzt worden sind und die
damaligen Möglichkeiten nun vertan sind. Derzeit ist – wie im Internet gesamt – auch in
diesem Bereich eine Gewinnerzielung auf breiter Basis nicht so bald in Sicht. Zudem
sind zentrale Fragen wie die Kosten der Datenübetragung, die Zahlungsweise
und die Grundfrage, ob und wie die Kunden langfristig mit trägerloser Musik
umgehen wollen, nicht abschließend geklärt. Es wird in Zukunft vor allem auf die
Übertragungs- und Speichertechnik sowie die mit diesen Aspekten verbundenen Fragen
der Abrechnung, des Kopierschutzes und der Beibehaltung des Rechtes auf
»Privatkopie« ankommen. Wichtig wird sein, die individuellen Ansprüche der
Kunden zu berücksichtigen und wieder eine Brücke zum Kunden zu schlagen.
Hier ist dringender Innovationsbedarf und zugleich ein interessanter Markt zu
sehen.
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