- 60 -Probst-Effah, Gisela (Hrsg.): Musikalische Volkskultur und elektronische Medien 
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Allerdings sorgte im Feld die damals nicht stabile Stromversorgung für Unterfrequenzen und andere Störungen. Zudem führten ungünstige Aufnahmeumstände in meist zu kleinen Räumen in Kombination mit einem ungeeigneten Mikrophon (mit schwacher Richtcharakteristik und damit hoher Streubreite) zu mangelhaften Aufnahmen.
  • Zum anderen war die Aufnahmesituation in mehrfacher Hinsicht gestellt: Der Forscher nimmt massiv Einfluss, er schafft eine künstliche Situation. Denn er reaktiviert eine Gruppe älterer Männer, die bereits jahrelang aus der Übung waren – ihr Gesang war vermutlich deshalb durch Unsicherheiten beeinträchtigt. Und er wählt für seine Aufnahmen aus dem Liedrepertoire aus.
  • Diese Selektion basiert schließlich auf Quellmalz’ oben umrissenen Forschungszielen und Hypothesen, die nicht nur das popularmusikalische Leben in Südtirol sehr eingeschränkt und kaum wirklichkeitsgetreu erfassten, sondern auch zu einer manipulativen Bearbeitung und schriftlichen Edition der Feldaufnahmen führten: So veröffentlichte Quellmalz das Lied im dritten Band seiner Südtiroler Volkslieder in einer Transkription, die in mehreren Punkten von der gehörten Originalaufnahme abweicht und damit das Voranschreiten zweier Oberstimmen in Quintparallelen souffliert, was jedoch dem seriösen Befund einer Art von enger Dreistimmigkeit (am Schluss Vierstimmigkeit) mit einem sehr eigenwilligen Verlauf der Unterstimme widerspricht.11
  • Alfred Quellmalz: Südtiroler Volkslieder. Band 2. Kassel u. a. 1976. S. 301. -->

    11   Alfred Quellmalz: Südtiroler Volkslieder. Band 2. Kassel u. a. 1976. S. 301.

    Dieser klassischen Forschungsaufnahme von Quellmalz möchte ich als zweites Beispiel die von einer Gesangsgruppe eigeninitiativ produzierte Aufnahme aus unseren Tagen (1995) gegenüberstellen, wie sie sich der modernen Popularmusikforschung als Quellenmaterial anbietet. Es handelt sich um das Lied s’ Uhrkasterl der Patersdorfer Dirndl aus dem Bayerischen Wald.12

    Hörbeispiel von der CD Jessas Leut, heit gibt’s a Musi. Volksmusik aus dem Landkreis Regen. Musikverlag Polysound. Zwiesel 1995 (Nr. 825.001 AMP Europe München)-->

    12   Hörbeispiel von der CD Jessas Leut, heit gibt’s a Musi. Volksmusik aus dem Landkreis Regen. Musikverlag Polysound. Zwiesel 1995 (Nr. 825.001 AMP Europe München).

    Dieser Frauenzweigesang ist eine Gruppe der bayerischen Volksliedpflege-Szene. Sie besteht seit den 1980er Jahren und wird von einem fest zum Ensemble gehörenden Instrumentalisten auf der Harfe begleitet. Das Hörbeispiel befindet sich vereint mit Tracks weiterer Pflegegruppen aus der Region Zwiesel auf einer für den Handel bestimmten CD-Produktion des regionalen Volksmusikpflegers. Im zugehörigen Booklet wird mehrfach auf das »überwiegend traditionelle waldlerische Musizier- und Liedgut« hingewiesen, das auf dem vorliegenden Tonträger präsentiert wird. Die Aufnahme erfolgte in einem regionalen Tonstudio. Die Publikation besorgte ebenfalls ein Musikverlag aus der Region. Die Aufnahme zeichnet sich vor allem durch zwei Charakteristika aus, die für das seit Jahren blühende Genre der in eigener Regie produzierten Tonträger von Gruppen der Volksmusikpflege typisch sind: Dies sind eine bis hin zur Sterilität getriebene Perfektionierung der Aufführungspraxis sowie eine intensive tontechnische Nachbearbeitung der Aufnahme, wie sich hier besonders an der Soundperformance zeigt (gesampelter Klang, leichter Hall etc.).

    Die beiden Beispiele sollen stellvertretend und etwas pointiert die allgemeine Entwicklung andeuten, wie sie sich in den vergangenen fünfzig Jahren im Bereich der Aufnahmetechnik und ihrer jeweiligen gesellschaftlich-kulturellen Handhabung vollzogen hat. Diese Entwicklung stellt sich aus rein technischer Perspektive als ein deutlicher Fortschritt dar. Welche Effekte aber hat der Einsatz neuer Aufzeichnungstechniken für die Forschung? Eine kritisch-reflexive Betrachtung ist angebracht,


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