Im Stück amüsiert sich der Kaiser über diese Liedsatire auf seine
Regierung (»Glückliches Volk, das einen Souverän hat, der weise genug ist,
auch ein Spottlied leutselig hinzunehmen«). Doch solche Verballhornung
blieb ambitionierte Fiktion, denn Gressiekers Stück ist nie aufgeführt
worden33
– und tatsächlich sind aus der Zeit Wilhelms II. bislang keine kritischen Parodien bekannt. Auch Janosch bezieht sich in seinem Roman »Cholonek oder Der liebe Gott aus Lehm«
(1985) auf dieses Lied und legt es seinem Protagonisten, dem Straßenkehrer Schwientek,
in den Mund. Die Geschichte spielt um 1930 im kleinbürgerlich-proletarischen
Milieu in Schlesien. Wenn Schwientek seine »Semmeltage« hat – will sagen:
wenn dieser seine Lohntüte versoffen hat – dann singt er berauscht in aller
Öffentlichkeit:34
Der Kaiser is ein guter Mann
Dieses quodlibetartige Verspotpourri bietet eine hintergründige Liedparodie.
Nach einer Anspielung auf den süddeutschen Stammsitz der Hohenzollern in
der zweiten Zeile, die das bekannte Lied »Ich bin ein Musikante und komm
aus Schwabenland« aufnimmt, kontrastiert Janosch mit der Anlehnung
an die märchenhafte Wendung »und wenn sie nicht gestorben sind« im
dritten Vers und an die hurrapatriotische Formel »Mit Herz und Hand fürs
Vaterland«36
im vierten Vers die nunmehr irreale Welt der Monarchie mit den Realitäten von Weltkrieg und Revolution.
* Bis heute fungiert das Lied als Paradigma fürs Kaiserreich: in der allgemeinen
Erinnerungsliteratur ebenso wie in den Schulmuseen von Hamburg, Bergisch-Gladbach
und Leipzig, auf monarchistischen Web-Seiten oder aber als Motto für kulturhistorische
Essays.37
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