Musikalische Volkskultur in den Massenmedien Russlands:
Tendenzen und Fragen
Elena Schischkina-Fischer
Einführung
Moderne Zivilisation zeigt sich heutzutage im technischen Fortschritt. Da die
traditionelle Musikkultur das Wertesystem einer gänzlich anderen Gesellschaft
widerspiegelt und vermittelt, sind die Massenmedien nicht daran interessiert, dieses zu
propagieren. Demgegenüber muss betont werden, dass die Erhaltung dieses vergangenen
Wertesystems für die heutige Gesellschaft notwendig ist.
Noch vor der Revolution von 1917 wurde in Russland die Losung ausgegeben:
»Selbstherrschaft, orthodoxe Kirche und Volksverbundenheit«, wobei die
Volksverbundenheit den Schwerpunkt bildete und zur offiziellen Doktrin erhoben wurde.
Auch nach der Revolution, als die orthodoxe Religion durch die kommunistische
Ideologie und die Autokratie durch das Zentralkomitee der kommunistischen Partei
ersetzt wurden, verlor diese Doktrin nicht ihre Bedeutung. Dabei tauchte jedoch ein
Problem auf: Was macht die Volksverbundenheit aus? Probleme, die mit der
Präsentation des Volksmusikschaffens in den Massenmedien Russlands verbunden sind,
sind nicht erst gestern entstanden und haben verschiedene historische Wurzeln:
einerseits die technologischen Schwierigkeiten bei der Tonaufzeichnung, die bis
in die 1920er Jahre zurückreichen, als es noch keine Tonband-, Audio- und
Videoaufnahmen gab; andererseits die ideologischen Vorstellungen der stalinistischen
Ära.
Was ist das russische Volkslied?
Die Vorstellung davon, was das russische Volkslied eigentlich sei, entwickelte sich
sowohl in den Wissenschaften als auch in den Massenmedien Russlands im
Laufe einer längeren zeitlichen Periode, und dieser Prozess ist bis heute nicht
abgeschlossen. Den Anfang dieses Entwicklungsprozesses markierten die Artikel
von Alexander Serov im 19. Jahrhundert. Unter völliger Vernachlässigung des
mehrstimmigen russischen Volksgesangs verstanden sowohl Komponisten als auch
Musiktheoretiker