Wissenschaftliches Potential und kulturpolitische Grenzen –
über Sinn und Unsinn von Musikarchivierung
Gabriele Berlin
1. Ist alles nur ein technisches Problem?
In der Diskussion über die technische Entwicklung moderner Schallarchivierung werden
oft Bedenken hinsichtlich der Nachhaltigkeit der elektronischen Datenwirtschaft
geäußert. Weil keine Langzeitdatenträger existieren, keine einheitlichen Technologien
angewendet werden und immer schneller neue Hard- und Software auf den Markt
kommt, wird befürchtet, dass es immer schwieriger werden könne, digitale Daten sinnvoll
zu verwalten. Tatsächlich sind bereits Fälle aufgetreten, wo es nicht mehr möglich ist,
ältere Daten zu dekodieren. Ein bekanntes Beispiel ist die Gauck-Behörde (jetzt
Birthler-Behörde), die über eine größere Anzahl von Datenträgern verfügt, deren
Auswertung einen wertvollen Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte der DDR
leisten könnte. Dies scheitert jedoch anscheinend daran, dass die Geräte der
Firma Robotron sowie das erforderliche Knowhow nicht mehr zur Verfügung
stehen.
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Die Kurzlebigkeit von Tonträgern ist allerdings kein neues Problem in der Geschichte
der Schallarchivierung. Viele Musikarchive sind heute damit befasst, wertvolle
Aufnahmen durch Digitalisieren zu retten, weil der Zerfallsprozess der älteren
Magnettonbänder nicht mehr aufzuhalten ist. Aufgrund unzureichender technischer
Ausstattung und mangelnder personeller Besetzung sind diese Arbeiten oft ein Wettlauf
gegen die Zeit. Auch das regelmäßige Kopieren auf immer neue digitale Datenträger
sowie eine fortwährende Optimierung von Dokumentation, Konservierung und
öffentlichem Zugriff sind letztlich weniger technische Probleme als finanzielle. Selbst die
komplexe Problematik der internationalen und interdisziplinären Vernetzung
und Koordinierung sowie komplizierte Fragen des Copyrights scheinen nicht so
unüberwindbar wie der chronische finanzielle Mangel vieler Musikarchive. Das führt
wiederum zu der Frage nach der gesellschaftlichen Bedeutung von Archivaufnahmen und
dem Stellenwert von Musikarchiven in der Kulturpolitik.