- 259 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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[...] dem altrussischen Kirchengesang entnommen« ist, und er fährt fort: »Doch wird es ziemlich frei behandelt: diatonische Themen werden zu chromatischen, ihre Intervalle werden erweitert oder eingeengt, durch absichtlich komplizierte Spieltechnik wird eine Instabilität der Tonstufen erzielt, was zu Chorwirkungen führt.« (Festschrift, S. 122f.) Valentina Cholopowa und Jewgenija Tschigarjowa haben dem Werk eine ausführliche Besprechung gewidmet,15
15 Vgl. Cholopowa und Tschigrajowa, 182–188; die Hinweise auf die Vorlagen stammen offenkundig von Schnittke selbst, denn ohne dieses Wissen könnte man bei der engen Verwandtschaft, oft Identität der Melodien ebenso gut andere Vorlagen annehmen.
in der sie besonders von dem Stichwort ›Chorwirkungen‹ ausgehen und eine imaginäre Szenerie beschreiben; die beiden Autorinnen teilen auch mit, welche Stücke Schnittke zitiert hat. Sie gehen allerdings kaum auf die Verarbeitung und gar nicht auf die Texte ein; das soll hier nachgeholt werden.

In dem knappen Eingangssatz, der wie ein Präludium wirkt, mögen Flageolett-Klänge, Kanons im Abstand einer kleinen Sekunde, generell Dissonanzballungen und Mikrointervalle für Schmerz und Trauer stehen. Basis und Ausgangspunkt ist der dreistimmige Hymnus Der Name des Herrn sei gelobt von Ewigkeit zu Ewigkeit (Beispiele 4 und 5).

Schnittke verfährt so, daß er einzelne Intervalle, die aufsteigende Sexte aus der Oberstimme, das Quart-Pendel aus der Unterstimme, und kurze melodische Einheiten separat verarbeitet. An den Anfang stellt er den Quartaufgang aus dem Schluß des Hymnus, hier durch den Sekundkanon und den anschließenden Krebsgang in allen vier Stimmen verfremdet; erst ganz am Ende erklingt das vollständige Zitat (mit frei hinzukomponierter Oberstimme), und zwar ab den Worten »zu Ewigkeit« bzw. »bis in Ewigkeit«. Diese vier Takte und mit ihnen die Aussage ihres Textes fungieren wie eine Art Motto; sie kehren im Finale (T. 28–31) notengetreu und am Ende des zweiten Satzes (T. 128–131) mit vertauschten Stimmen und anderem Kontrapunkt wieder. Kernstück des Quartetts ist der zweite Satz, der Form nach ein schlichtes Rondo. Sein Hauptthema beruht auf dem langen, melismatischen Hymnus Und die Cherubim, im Geheimen gestaltend ... (Beispiel 6).

Schnittke spannt die drei Choralstimmen in ein ruheloses Perpetuum mobile, wie man es aus zahlreichen seiner Werke kennt;16

16 Vgl. z.B. das Rondo aus dem ersten Concerto grosso (1977), den zweiten Satz der ersten Cellosonate (1978), den zweiten Satz aus dem Bratschenkonzert (1985).
dieser Satztypus ist bei ihm fast immer negativ konnotiert, etwa als Sinnbild des Gehetzt-Seins, des sinnentleerten Immer-Gleichen, auch des Banalen. 17
17 Vgl. dazu Dorothea Redepenning: Eine zerbrochene Spieluhr. Zur Funktion des Banalen in Alfred Schnittkes Schaffen, in: MusikTexte, Heft 78, März 1999, 42–48.
Hier scheint die Semantik

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