entsprechen. Erst in der letzten Variation
(T. 110–125) bringt Schnittke den Hymnus ohne Veränderungen, zunächst
nur die Oberstimme, dann als vollständigen dreistimmigen Satz.
Die Variationstechnik betrifft Tonhöhen, Transpositionsverhältnisse,
Intervallumkehrungen und an einer Stelle die Metrik; grundsätzlich nicht
von ihr berührt wird die Rhythmik. So ist der ruhig fließende
Wechsel von halben und ganzen Noten, der die Vorlage charakterisiert, also
der Bezug zu liturgischer Musik, von vornherein und ständig präsent.
Das legt die programmatische Assoziation nahe, hier wolle jemand beten und
erinnere sich mühsam, in mehreren Schritten, an Melodie und Text des
Gebets.
Die Hymnen sind untypisch für Schnittkes
Stil, und er hat diesen Weg nicht weiter verfolgt. Merkmale, wie sie sich
hier finden – die ebenmäßigen Linien, der rudimentäre Kontrapunkt,
die Sprödigkeit der Klangfarben und ihre eigenwillige Kombination, eine
generell asketische Haltung und eben der Bezug zur orthodoxen Liturgie, zum
»snamenyj raspew« – sind aber überaus charakteristisch für
die Musik von Galina Ustwolskaja. Das zeigt sich nicht nur in den wenigen
abstrakt betitelten Werken (Sonaten, Duo, Trio, Oktett), die vor 1974, vor
der Entstehung der ersten Hymne, uraufgeführt
und gedruckt wurden, sondern vor allem in den drei mit »Komposition«
überschriebenen Stücke, die alle mit liturgischen Untertiteln versehen
sind (der ersten, Dona nobis pacem, liegt nachweislich
ein Zitat aus Uspenskijs Sammlung zugrunde), und in ihren später vollendeten
Symphonien, die Worte von Hermanus Contractus verwenden und auch im Titel
tragen. Die ersten beiden »Kompositionen« wurden vor Schnittkes
erster Hymne vollendet, aber später uraufgeführt
und gedruckt. Es ist relativ unwahrscheinlich, daß Schnittke Ustwolskajas
Musik gekannt hat,13
13
Gegenüber Iwaschkin sagte Schnittke, bezogen auf die 1970er
Jahre: »Ich kenne sie leider nicht und habe ihre Musik kaum gehört.
Valentin Silverstrow lobte eines ihrer Werke sehr, was bei ihm höchst
selten vorkommt. Ich glaube, es ging um irgendein Werk von Ustwolskaja
für acht Kontrabässe, Klavier und Holzkiste, das nach Silverstrows
Worten außerordentlich asketisch wirkt; selbst die Kiste löse
keinen Schock aus, sie mache im Gegenteil einen ernsthaften Eindruck.« (Iwaschkin,
S. 128) Die Rede ist von »Komposition« Nr. 2,
Dies irae, die am 14. Dezember 1977 in Leningrad uraufgeführt
wurde. |
und um so erstaunlicher, daß er zu einem ähnlichen Stil findet
in dem Augenblick, wo er zur orthodoxen Liturgie greift.
Vollkommen anders geht Schnittke mit orthodoxen Melodien in seinem zweiten
Streichquartett um. Das Werk ist dem Andenken an die Regisseurin Larissa
Schepitko gewidmet, die 1979 bei einem Autounfall ums Leben kam. Schnittke
war mit ihr und ihrem Mann, Elem Klimov, gut bekannt; er hat mehrere Filmmusiken
für die beiden geschrieben.14
14
Für Schepitko; Du und ich, 1971,
Der Aufstieg, 1976, Abschied von Matjora
, 1980 (gemeinsam mit Elem Klimov, während der Dreharbeiten zu diesem
Film kam sie ums Leben) und Klimovs Dokumentarfilm über die Regisseurin,
Larissa, 1980. |
In seinem Kommentar zu dem Quartett hebt Schnittke selbst hervor, daß
»fast das gesamte Tonmaterial
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