- 254 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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liturgischer Gesänge, die außerdem für den liturgischen Gebrauch komponierte Musik des 16. und 17. Jahrhunderts enthält. Dieses Buch wurde zur Inspirationsquelle für zahlreiche Komponisten; es fand einen solchen Anklang, daß es 1971 eine Neuauflage erlebte.

Die Hymnen, die sich alle vier durch eine sehr dunkle, teilweise sogar bizarre Instrumentation auszeichnen,11

11 Nr. 1 für Cello, Harfe und Pauken, Nr. 2 für Cello und Kontrabaß, Nr. 3 für Fagott, Glocken, Cello und Cembalo, Nr. 4 für alle sieben in Nr. 1 bis Nr. 3 beteiligten Instrumente.
wirken auf den ersten Blick tatsächlich wie eine Art Stilübung im ›Intonationssystem der alten russischen Kirchenmusik‹, wie an der ersten Hymne12
12 Zugrunde liegt der Hymnus Swjatyj Boshe (Heiliger Gott), Uspenskij Nr. 89, S. 165; darauf machen Cholopowa und Tschigrajowa (S. 104) aufmerksam. Die Zitate in den anderen drei Hymnen sind bislang nicht nachgewiesen.
gezeigt werden soll. Der Form nach handelt es sich um eine Variationsreihe, deren Thema erst ganz am Schluß in originaler und vollständiger Gestalt erscheint; der Text zu dem Hymnus lautet: »Heiliger Gott, heiliger Starker, heiliger Unsterblicher, erbarme dich unser. Von Ewigkeit zu Ewigkeit, amen. Heiliger Unsterblicher, erbarme dich unser.« (Siehe Beispiel 1)

Schnittke stellt drei zehntönige Akkorde voran, die als gliedernde Zäsur vollständig bzw. auf einen oder zwei Akkorde reduziert zwischen die Variationen treten (T. 22, T. 39, T. 58, T. 90–93; die vierte und fünfte Variation sind nicht durch Akkorde getrennt) und die auch den Schluß des Satzes bilden. Die drei diatonisch absteigenden Schritte der Pauke entsprechen am Anfang (d–c–b) dem Ambitus der Oberstimme, am Schluß (b–a–g) dem Ambitus der Mittelstimme des Hymnus (Beispiele 2a und 2b, T. 1–3 und T. 127–130).

Die erste Variation (T. 3–21) verwendet in kargem, meist nur zweistimmigem Satz in tiefster Lage lediglich Fragmente, streng genommen nur das Sekund-Pendel aus dem Hymnus (Mittelstimme, 2. System). In der zweiten Variation (T. 23–38) konkretisiert sich das Zitat, indem in der Pauke die Unterstimme der Vorlage mit ihren exakten Notenwerten und um eine kleine Terz tiefer transponiert erscheint. In der vierten und fünften Variation (T. 40–57, T. 59–73) verarbeitet Schnittke die Oberstimme in unterschiedlichen Transpositionen und im Kontrapunkt bzw. Kanon mit sich selbst. Umkehrungen der Intervalle (Harfenbaß in der dritten, Cello in der vierten Variation) verfremden den Bezug zur Vorlage (Beispiel 3).

In der fünften Variation schließlich (T. 74–89) erscheint die Oberstimme in der Pauke in originaler Tonhöhe; die metrische Gliederung zerstört allerdings jeden Textbezug. Der dreistimmige Satz der Vorlage erklingt in der sechsten Variation (T. 94–109); er wird im Kanon im Abstand einer ganzen Note geführt, so daß sich Zusammenklänge ergeben, die den Zäsur-Akkorden


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