- 151 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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Jost Hermand

Der vertonte Weltgeist.
Theodor W. Adornos Beethoven-Fragmente

Seit 1937 beschäftigte sich Adorno mit dem Plan, ein »philosophisches Werk über Beethoven« (Tiedemann 1994, 9) zu schreiben. Doch trotz vieler Notizen und mancher ausgeführten Partien – wie dem Aufsatz über die Missa solemnis von 1964 sowie dem Radiovortrag zu Beethovens Spätstil von 1966 – blieben diese Aufzeichnungen im Fragmentarischen stecken. Obwohl die mehr oder minder durchformulierten Abschnitte in Adornos Nachgelassenen Schriften, soweit sie Beethoven betreffen, über 270 Seiten umfassen, ist also das Ganze kein wirkliches Buch. Dennoch kommt in diesem stattlichen Konvolut verschiedenster Ideen, Einfälle und Kurzanalysen die Grundanschauung Adornos von Beethovens Kompositionsweise in wünschenswerter Deutlichkeit zum Ausdruck, zumal ihr Autor seine zentralen Thesen, die er in einem späteren, sorgfältiger durchstrukturierten Großessay sicher etwas gestrafft hätte, häufig genug drei- oder viermal wiederholt. Was in diesen Fragmenten sofort ins Auge sticht, ist der tiefe Respekt, den der sonst an vielem, ja manchmal geradezu an allem überkritische Adorno der »unvorstellbaren Größe und Höhe des Beethovenschen Werkes« (Adorno 1994, 55) entgegenbrachte. Das Ganze strotzt daher nur so von Anpreisungen und Superlativen. So nennt etwa Adorno die Eroica, auf die er immer wieder zurückkommt, das »absolute Hauptwerk« (105) des frühen Beethoven. Die Klaviersonate op. 101 streicht er als ein »Werk der größten, unausschöpflichen Schönheit« heraus (198), ja, beim Hören der letzten fünf Streichquartette, lesen wir, habe man häufig »das Gefühl des Außerordentlichen und des allergrößten Ernstes, so wie ihn kaum eine andere Musik überhaupt kennt« (263). Wer jedoch nach solchen Lobeshymnen ein Bekenntnis zum Heroischen, Mitreißenden oder Beseligenden in der Musik Beethovens erwartet, wird leider etwas enttäuscht. Solche Qualifizierungen bleiben weitgehend ausgespart. Für den Philosophen Adorno bestand die »Größe« von Beethovens Musik nicht in ihrer unwiderstehlichen Melodienfülle oder leidenschaftlich überhöhten Revolutionsdramatik, sondern fast ausschließlich in ihrer Nähe zur Philosophie Hegels und der in ihr zum Ausdruck kommenden Denkprinzipien. Und zwar legte Adorno bei dieser Beziehung den Hauptakzent vor allem auf zwei Aspekte: 1. auf die dialektische Subjekt-Objekt-Relation,


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