- 147 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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Farben nach den Harmonie-Skalen« (239). Materie unter dieser Perspektive ist »immateriell«, sie ist »un-objektivierbar, weil sie nur stattfinden oder vorkommen kann« (240). Deutlich stellt Lyotard heraus, dass in der Wahrnehmung solcherart »immaterieller Materie« die Geisteskräfte Einbildungskraft und Verstand (im Sinne Kants) ausgeschaltet seien, mithin ein »Geisteszustand ohne Geist« herrsche. (Ebd.) In der so beschriebenen Präsenz ist es nicht, wie Lyotard betont, um das »Now«, das »Jetzt« im Sinne des hier und jetzt sich Ereignenden zu tun, sondern einzig und allein darum, »damit es etwas gibt.« (Ebd.) Doch was (»quod«) gibt es? Ließ sich in Lyotards Deutung der Texte von Newman und Hess Präsenz als »es gibt« einerseits mit Verweisung auf ein Undarstellbares im Sinne des Erhabenen deuten, andererseits als die Tatsache, dass es, rein empirisch das Bild gibt, so ist im Blick auf die »immaterielle Materie« von Nuance und Timbre zwar die Tatsache »es gibt« geblieben, nicht aber die Art ihrer Wahrnehmung. In einem »Geisteszustand ohne Geist« kann das Faktum, dass es dieses Bild als gestaltetes gibt, nicht wahrgenommen werden, denn dazu wäre die Aktivität von Einbildungskraft und Verstand notwendig. Lyotard zieht sich zurück auf eine Aisthesis, die im Grunde nur diffuse, ungeordnete Wahrnehmungen zuläßt. Deren Gegenstand ihrerseits ist »essentiell nicht adressiert«, sie wendet sich »nicht an den Geist« (242), sondern wie es an anderer Stelle heißt, an das »Gefühl«. »Sie ist die Präsenz, insofern sie für den Geist undarstellbar, seinem Zugriff immer entzogen ist.« (243) Nicht umsonst nennt Lyotard seinen Essay Nach dem Erhabenen. Es ist anzunehmen, dass er in diesem späteren Text seine emphatisch vorgetragene programmatische Forderung, die moderne Kunst habe als Erhabene immer wieder neu auf das Undarstellbare anzuspielen, aufgegeben hat, ebenso wie er sich in dem Gespräch mit Christine Pries deutlich von seinem eigenen Begriff der Postmoderne distanziert. Was Hegel eine »Stellungnahme des Gedankens zur Objektivität« nannte, erscheint im Denken Lyotards als Partizipation an theoretischen Prämissen des Poststrukturalismus, denen er möglicherweise von Anfang an intensiv verbunden war, auch wenn manche seiner Texte sich anders deuten lassen. Lyotard wollte der »negativen Ästhetik« Adornos eine »affirmative« entgegensetzen. In der Verabschiedung des Subjekts, der gesellschaftlichen Bezüge und der metaphysischen Reste ist sie nicht einmal das. Denn: Was affimiert diese Ästhetik außer jenem, »dass es gibt«? Ein »es gibt« ohne ein was aber ist leer.

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