Überhöhung – meistens komponiert in Form eines musikalischen
Rausches – mit dem Selbstmord verknüpft ist. Die Lösung ist vielleicht
am deutlichsten am Schluß des Fliegenden
Holländers komponiert, als Senta sich
– bewußt und ohne eigene Anschauung einer Alternative1
– hinter das davonrasende Schiff des Holländers ins Meer wirft. Wagner
trennt damit – wie meistens in seiner Musiksprache – die reale Situation
von dem, was er als Botschaft verkündet. Er benutzt seine Handlungsträger
als Herolden seiner Ideologie, was letztlich die ersteren gegenüber
dem Orchester als dominierenden Faktor fast entbehrlich macht. Im Orchester
werden die musikalischen Themen, die Leitmotive und die Stimmung realisiert:
ein kompositorisches Prinzip, das exakt die Gegenposition zu Giuseppe Verdis
Ästhetik einnimmt und sich ebenso radikal von Mozarts Operntypologie
unterscheidet. Was passiert am Ende des Fliegenden
Holländers? Der Holländer artikuliert seine Todessehnsucht,
springt auf das Schiff, um Senta nicht mit hineinzureißen, und erklärt
ihr, wer er wirklich ist. Musikalisch wird er von seinen eigenen Leitmotiven,
dem »Joho hoooeee« der Matrosen und viel Getöse im Orchester
begleitet. Senta greift das Erlösungsmotiv auf und wirft sich verzweifelt
ins Meer, samt eigenem Selbstvernichtungsmodell der chromatisch abwärts
kriechenden, schleudernden Linien. Und siehe da: Sie muß schon ertrunken
sein, da tritt das Erlösungsmodell in die Szene, und laut Wagners Regieanweisung
sieht man »im Glührot der aufgehenden Sonne [...] über den
Trümmern des Schiffes die verklärten Gestalten Sentas und des Holländers,
sich umschlungen haltend, dem Meere entsteigend und aufwärts schwebend.«
Alban Berg hat in seinem Wozzeck das Problem des Selbstmords auf zweierlei Weisen auskomponiert. Der Suizids taucht dort auf, wo Berg inhaltlich deutende Musik mit autonomen Aspekten des musikalischen Materials verknüpft und nur durch eine Art von Erinnerungsmotivik eine Klammer herstellt. In Wozzecks Todesszene gleiten die Instrumente auf den sechs Tönen der Ganztonleiter gleichsam unmerklich hinüber ›vom Leben in den Tod‹, so wie Wozzeck durch den Gang ins Wasser aus dem Leben scheidet. Dieser Sechsklang ist auch das Modell des großen Orchesterepilogs nach Wozzecks Tod, der tonal gehalten ist, wenn auch die Grenzen der Tonalität bis auf das äußerste gespannt zu sein scheinen. Diese Musik ist aber nicht nur Beschreibung einer Situation auf einer sehr realen Ebene – wenn auch ins Utopische erhöht –, sondern gleichzeitig, wie Berg in seinem Wozzeck-Vortrag von 1929 ausführlich formulierte, der Appell des Autors an das gleichsam die Menschheit vertretende Publikum. Ein Appell an das Mit-Leid – im wörtlichen Sinn –, an die Solidarität mit den Protagonisten. |