Manfred Wagner
»Weil mich nichts zurückhält – gute
Nacht, du falsche Welt.«
Zum Suizid in der Musik
1984 unternahm ich den Versuch, in einem Essay für die
Frankfurt Feste den Tod in der Kunst zu beschreiben. Am Schluß
dieser Untersuchung fand ich zum Untertitel »Notizen zu einem banalen
Problem« zurück, weil verblüffenderweise das Resümee
der Arbeit darin bestand, daß der Tod als klinisch-medizinisches Ereignis
für die Kunst – gleichgültig in welchem Medium – weit weniger wichtig
war als beispielsweise das Thema Mariae Verkündigung. Wichtig waren
vielmehr jene Phänomene, die ihn als Umwandler des Seinszustandes beschreiben.
Die Systematisierung dieser Phänomene ergab damals Kategorien, wie der
Tod als Straffolge der Sünde, der Tod als Geheimnis, als allgemeine Gültigkeit,
als Trennung von Leib und Seele, als Dokument der menschlichen Existenz und,
mit ganz wenigen Belegstücken, der Tod als reales Abbild der Wirklichkeit.
Die Argumente für diese Systematik, die auf die Medien Sprache, Bild
und Ton Anwendung fanden, ließen sich in der uns vertrauten Musikgeschichte
an repräsentativen Stellen unschwer belegen. Am vielleicht verbreitetsten
ist der Beleg für jene sozialen Konsequenzen, die der Tod eines Menschen
in seinem sozialen Umfeld auslöst. Dies ist abzulesen an der Klage um
den Verlust, quasi die Inkarnation des Schmerzes, die aus dem auch von der
Psychologie bestätigten vehementesten Einbruch in die Stabilität
des eigenen Seins auftritt. Orfeo weint, schreit, klagt und zieht alle Register
der Schmerzdarstellung, als er den Tod seiner geliebten Eurydice wahrnehmen
muß. Monteverdi riß damit mit einem Schlag das Tor zu einem Expressionismus
auf, der in dieser Stärke wohl auch nicht vom Verismo des 19. Jahrhunderts
übertroffen wurde.
Wolfgang Amadeus Mozart, der wie kein anderer
Komponist alle menschlichen Seins- und Erlebnisformen, Charakterzüge
und Sozialstrategien überzeugend auf der Opernbühne formulierte,
legte seine Position gegenüber dem Tod nicht nur in einer Reihe von
Briefen fest, sondern diskutierte auf der Folie des
Requiem-Textes die Schattierungen des Todeserlebnisses, wie es später
eigentlich nur noch sein ›Bruder im Geiste‹ Giuseppe Verdi, ebenfalls im
Requiem vollbrachte. Da setzt er die Tragik des Bassetthörnerklanges
auf das Schmerzmotiv der Chromatik, die unerbittlich fortschreitende Zeituhr
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