- 115 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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Bestätigungen ihrer Person und ihres Werkes hört sie 1949 auf zu komponieren. Ihre produktiven Kräfte scheinen erschöpft zu sein. »Nach so einer Zeit wie der Hitlerzeit kommt man überhaupt nie wieder ganz zurecht. Das hängt einem doch immer nach«, sagt sie 1973. Und ihr Sohn Jost: »Die kulturelle Welt, in der sie sich zu Hause fühlte, und von der sie getragen wurde, war weitgehend zerstört.« Der Weg der Neuen Musik führt in eine ihr fremde Richtung. Ob sie zu neuer schöpferischer Auseinandersetzung herausgefordert worden wäre, wenn man ihr an der Hochschule eine Professur für Komposition zuerkannt hätte, muß eine offene Frage bleiben. Aber das kam damals wohl für eine Frau nicht in Betracht.

Die letzten Kompositionen, die Ilse Fromm-Michaels schuf, sind die drei in Textwahl und musikalischer Gestaltung ernsten, ja schwermütigen Rilke-Gesänge Der Schwan, Das Lied vom Meer und Schlußstück: Der Tod ist groß für Bariton und Klavier. 1960 bearbeitete sie sie für Orchester, und in dieser Fassung sind sie mit ihrem außerordentlich farbigen, durch ein Klavier bereicherten Orchestersatz und der Kraft ihres Ausdrucks drei bedeutende Orchesterlieder, mit denen die Komponistin noch eine Steigerung ihres Schaffens erreicht hat. Dann komponierte sie nicht mehr – bis auf einen, wahrscheinlich 1950 entstandenen, unendlich traurigen, und zugleich verklärten, in manchem an Chopin anklingenden langsamen Walzer, der wie ein Abschied im Verstummen endet.

Bis 1959 war Ilse Fromm-Michaels an der Musikhochschule in Hamburg tätig. Seit 1973 lebte sie in Detmold bei ihrem Sohn, der an der Musikhochschule eine Professur für Klarinette innehatte, später im Augustinum. Immer war sie befasst mit ihren Kompositionen, bearbeitete noch 1977 mit fast 90 Jahren die Passacaglia für Orgel, oder bereitete Tonbandaufführungen ihrer Werke vor. Trotz der Reduzierung durch mehrere Schlaganfälle verstand sie sich unvermindert bis zuletzt als Komponistin. Sie starb am 22. Januar 1986 im Alter von 97 Jahren.

Ilse Fromm-Michaels war eine jener künstlerisch Schaffenden, deren glänzend begonnene Laufbahn durch die Zwangsmaßnahmen der NS-Zeit gewaltsam abgebrochen und nach deren Ende nicht ohne weiteres fortgesetzt werden konnte. Sie war aber auch eine derjenigen, deren Produktivität unter dem Druck der inneren Emigration nicht versiegte, sondern sich zu besonderer Intensität komprimierte und als Überlebenskraft erwies. Nach 1945 erfuhr sie eine ehrenvolle Rehabilitierung, wie sie vielen anderen nicht vergönnt war. Aber trotz der glänzenden Aufführungen ihrer Werke durch namhafte Dirigenten und Orchester ist es zu einer kontinuierlichen Präsenz ihrer Kompositionen in den Konzertprogrammen nicht gekommen. Der Nachholbedarf richtete sich auf unterdrückte Komponisten wie Mendelssohn, Mahler, auf die Klassiker der Moderne. Die


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