- 114 -Müßgens, Bernhard / Gieseking, Martin / Kautny, Oliver (Hrsg.): Musik im Spektrum von Kultur und Gesellschaft 
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seinem verinnerlichten Klangcharakter an den späten Beethoven oder Bruckner. Es ist eine Musik in sehr differenzierter, doch tonaler Harmonik, die mit ihrem ruhig fließenden polyphon durchgeführten Satz, in dem homogener Streichquartettklang und weicher Klarinettenton miteinander kommunizieren, und ihrer zuweilen fast meditativen Stille für Momente die Möglichkeit eines völligen Sich-Loslösens von den Schrecken der Zeit aufscheinen läßt.

Das Ende des Krieges bedeutete Befreiung und Dankbarkeit für das Überleben der nächsten Menschen. Aber schon 1946 starb Dr. Michaels. Seine Gesundheit hatte den Belastungen nicht standgehalten. In dieser Zeit kam ein Kreis von Freunden regelmäßig in der Wohlfahrtschen Wohnung zusammen. Und hier erlebten wir jene unvergesslichen schöpferisch bewegten Abende, an denen Ilse uns ihre in den letzten Jahren entstandenen Kompositionen vorstellte. Aus dem Manuskript in ihrer unvergleichlich schönen und klaren Notenschrift mußte sie sie auf dem Klavier zum Klingen bringen, das den instrumentalen Reichtum der großen Orchesterpartitur natürlich nur ahnen ließ. Auch Frank ließ seine Kompositionen hören, las aus seinen Dichtungen oder brachte von der Schallplatte Bruckner-Sinfonien zu Gehör, die uns damals noch unbekannt und eine Offenbarung waren, und die Frank mit seinen geistvollen Analysen kommentierte. Es war die Zeit des Neuanfangs, des menschlichen und kulturellen Sich-Wieder-Vergewisserns, und nicht selten kamen Persönlichkeiten des Hamburger Kulturlebens hinzu, Musiker, Schriftsteller, Rundfunkleute, Kritiker, alle bemüht um Fragen des sich langsam wieder etablierenden künstlerischen Lebens der Stadt. Ilse brachten sie große Wertschätzung entgegen.

Und bald erfuhr sie, wie nicht alle, die aus der inneren Emigration auftauchten, die ihr zustehende Rehabilitierung. Als erste Frau wird sie in die Hamburger Freie Akademie der Wissenschaften aufgenommen. 1946 wird sie zur Dozentin für Klavier, 1957 zur Professorin an der Hamburger Hochschule für Musik und Theater ernannt. 1946 wird ihre Symphonie op. 19 im Rahmen der Hamburger Theater- und Festwochen unter der Leitung von Hans Schmidt-Isserstedt uraufgeführt. Für diese Symphonie wird ihr 1961 beim Internationalen Komponistinnen-Wettbewerb der GEDOK der Erste Preis zuerkannt werden. 1956 wird ihr die Plakette der Freien Akademie der Wissenschaften in Hamburg verliehen, eine Ehrung, die ein Jahr zuvor Thomas Mann zuteil wurde. Damit verbunden ist ein Konzert mit ihren Werken, das von der Kritik mit hohem Lob bedacht wird. Weitere Auszeichnungen folgen: 1964 wird ihr die Brahms-Medaille der Stadt Hamburg verliehen, 1965 wird ihre Marienpassion im Rahmen des 40. Deutschen Bachfestes in Hamburg aufgeführt, 1968 ehrt sie die Stadt zu ihrem 80. Geburtstag. Anerkennungen, die sie mit stiller Genugtuung und selbstverständlichem, aber zurückhaltend geäußertem Selbstbewußtsein entgegennimmt. Trotz dieser


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