zum Menschen darf keine
abgeleitet sein; sie muß zur ursprünglichen
werden. Dann allein wird die Liebe eine wahre, heilige, zuverlässige
Macht. Ist das Wesen des Menschen das höchste
Wesen des Menschen, so muß auch
praktisch das höchste und erste Gesetz die Liebe
des Menschen zum Menschen sein. Homo homini
Deus est – dies ist der oberste
praktische Grundsatz – dies der Wendepunkt der
Weltgeschichte.« (Feuerbach 1904,
zit. nach von Soden 1980, 80)
In dieser Liebe des Menschen zum Menschen ist, so Feuerbach, die Wahrheit
seiner Philosophie verbürgt, denn das »[...] Herz will keine abstrakten,
keine metaphysischen oder theologischen – es will wirkliche, es will sinnliche
Gegenstände und Wesen.« (ebd., 81)
4.2
Zur Beziehung Elsa - Lohengrin im Sinne Feuerbachs
Überträgt man Feuerbachs religionsphilosophische Ausführungen
auf Wagners Lohengrin, so ergibt sich folgende
Interpretation: In der Vereinigung des ›göttlichen‹ Lohengrin mit der
›menschlichen‹ Elsa wird der im Christentum existierende Gegensatz von Leib
und Seele, von Gott und Mensch aufgehoben. Lohengrin steigt, von Elsa angezogen,
von seiner erhöhten Position herab auf die Erde. Der göttliche
Lohengrin wird Mensch. Im Sinne Feuerbachs wird also die Existenz Gottes
aufgegeben zugunsten der menschlichen Existenz. Lohengrin ist der ›Prototyp‹
der »Konzeption des autonomen, freien Menschen« Feuerbachs (von
Soden 1980, 81). Er stellt »das entschiedene, zu Fleisch und Blut gewordene
Bewußtsein, daß das Menschliche das Göttliche« ist,
dar (Feuerbach 1966, 129).
Elsas Sehnen nach Lohengrin symbolisiert die Sehnsucht nach der Wiederherstellung
der durch Feuerbach angenommenen, anfänglich vorhandenen, durch den
geschichtlichen Prozess jedoch ins Gegenteil verkehrten Einheit von Geist
und Natur, Leib und Seele, Mensch und Gott. Bedeutet für alle anderen,
Ortrud, Telramund, den König und das Volk, Lohengrin die Epiphanie im
herkömmlichen religiösen Sinne, so ist dies für Elsa anders.
Sie ist auf Lohengrins Erscheinen vorbereitet, sie erst hat es ausgelöst
und nur durch sie wurde es möglich. Nur scheinbar stimmt Elsa mit den
herkömmlichen Traditionen der bestehenden Verhältnisse überein.
Sie stellt sich dem gerichtlichen Prozess. Doch tatsächlich tritt sie
der Tradition – durch ihr Schweigen vor Gericht – in Opposition gegenüber.
Damit verneint sie die bestehenden Normen und Konventionen. Sie verweigert
sich einer für sie defizitären Gesellschaft (vgl. von Soden 1980,
98– 99).
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