- 91 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst 
  Erste Seite (I) Vorherige Seite (90)Nächste Seite (92) Letzte Seite (215)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 



und Celesta führen die wiegende musikalische Bewegung an. Wozzeck erscheint. Seine Wahnvisionen erschüttern Marie. Sie versucht, ihn zu beruhigen und hält ihm den Buben hin. Wozzeck beachtet das Kind nicht und flieht.

     Vierte Szene: ein sonniger Nachmittag in der Studierstube des Doktors. Gegen geringe Entlohnung mißbraucht er Wozzeck für seine medizinischen Versuche. Wozzecks Wahngesichter begeistern ihn. Als Passacagliathema mit 21 Variationen gestaltet Berg die Musik zur vierten Szene. In der achten Variation lehnt er sich von Wozzecks Bewegungsrhythmus über seine Körperhaltung bis hin zur Gestik an das Beispiel der Frau aus dem Monodram Erwartung von Arnold Schönberg an. In Takt 44 des Monodrams Erwartung (Beispiel S. 92) greift Schönberg die rhythmisch durchbrochene Bewegung im Dreivierteltakt der Takte 30-35 auf (Vgl. Beispiel S. 30). Nach einem heftigen Angstausbruch geht die Frau in gezwungener Ruhe "mit vorgestreckten Armen" im nächtlichen Wald voran (Beispiel S. 92, Takt 47-48). Abwärtsgerichtete dreistimmige Quartenakkorde der Hörner begleiten sie.

     Wozzeck geht in der vierten Szene des ersten Aktes (Takt 542-543) ebenfalls "mit ausgestreckten Armen ein paar große Schritte durchs Zimmer des Doktors": "Ach, Marie! Wenn Alles dunkel is, und nur noch ein roter Schein im Westen, wie von einer Esse: an was soll man sich da halten?" Fünfstimmige Quartenakkorde der Streicher bereiten Wozzecks Schritte im langsamen Dreivierteltakt in ruhiger Abwärtsbewegung vor (Beispiel S. 93, Takt 539-542). Doktor: "Kerl, Er tastet mit seinen Füßen herum, wie mit Spinnenfüßen".  

     Der Beginn des zweiten Aktes führt zur Entscheidung. Wozzeck erkennt Maries Untreue. Der Hauptmann und der Doktor ziehen Wozzeck auf. Wozzeck stellt Marie zur Rede und bedroht sie. Der Kreislauf von Gewalt und Angst schließt sich. Mit Beginn der dritten Szene tritt zum bisherigen Orchester ein Kammerorchester "in der Besetzung von Arnold Schönbergs Kammersymphonie" (Berg, Wozzeck 264). Ohne Rücksicht auf das Tempo des großen Orchesters begleiten Einwürfe der Bläser des Kammerorchesters Wozzecks Ausbruch (Berg, Wozzeck 277). Marie deklamiert nach Art von Schönbergs Pierrot lunaire rhythmisch: "Rühr' mich nicht an! Lieber ein Messer in den Leib, als eine Hand auf mich". Vom Kammerorchester begleitet, läßt Wozzeck langsam die gegen Marie erhobene Hand sinken (Berg, Wozzeck 279).

     Als Verwandlungsmusik zur vierten Szene dient ein Ländler. Historisch betrachtet Vorläufer des Walzers, bereitet der Ländler auch bei Berg die "Walzerkatastrophe" der nachfolgenden Szene vor. Während sich der Vorhang zur vierten Szene öffnet, verklingt der Ländler eines Bühnenorchesters aus Fiedeln, Klarinette, Ziehharmonika, Gitarren und einem Bombardon, einer Art Ventil-Signalhorn. Burschen, Soldaten und Mägde verlassen den Tanzboden.


 INHALTSVERZEICHNIS


Erste Seite (I) Vorherige Seite (90)Nächste Seite (92) Letzte Seite (215)      Suchen  Nur aktuelle Seite durchsuchen Gesamtes Dokument durchsuchen     Aktuelle Seite drucken Hilfe 
- 91 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst