- 191 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst 
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bildend, die in Takt 256 in fff-Trillern und Tonrepetitionen auf dem durch vier Oktaven gespreizten Ton A kulminiert und bei Ziffer 26 in den Tonika-Grundton D hinein abbricht, um im gleichen Augenblick dem fanfarenartigen D-Dur-Thema Raum zu geben, das zuvor den zweiten Teil der Durchführung eröffnet hatte (S. 21, drei Takte nach Z. 15) und nun zu einer mächtigen Hauptsache avanciert ist, zum Beginn der Reprise.

(Eggebrecht, Die Musik Gustav Mahlers 87)


Der Unterschied zwischen der "Durchbruch"- und der "Signal"-Interpretation besteht nach Eggebrecht in der Kategorie des Gehalts. Adorno urteilt demnach vom Standpunkt der Form aus: "Indem der Fanfaren-Durchbruch die Formimmanenz des Werkes durchbricht, hält er jenem ästhetischen Urteil nicht stand, das seine Kriterien ausschließlich aus dem Immanenzzusammenhang der Form bezieht und als nicht gelungen ansehen muß, was ihm widerspricht" (Eggebrecht, Die Musik Gustav Mahlers 90). Doch sieht Adorno gerade im Scheitern des Kunstwerks den Wahrheitsgehalt von Kunst. Der traditionelle Werkbegriff ist Gegenstand seiner Kritik. Über den Wert der Musik entscheidet nach Adorno die Übereinstimmung des Werks mit einem Wahrheitsanspruch, der sich an der gesellschaftlich-geschichtlichen Wirklichkeit mißt.

     Indessen durchbricht die Fanfare nach Eggebrecht schon den musikalischen Formzusammenhang nicht. Als ein "nicht gänzlich unvermuteter und doch im Augenblick überraschender Eingriff in einen Zustand" erzeugt sie die Erwartung "... jetzt wird er eintreten, der Herrscher, der Gewaltige - und dann der Eintritt des Angekündigten, die schlagartige Veränderung des vorigen Zustands zu einer neuen Lage", (Eggebrecht, Die Musik Gustav Mahlers 89). Eine durch Natalie Bauer-Lechner überlieferte Äußerung Mahlers bezieht sich auf den Durchführungsteil des ersten Satzes der Vierten Symphonie. Nach dem Höhepunkt ab Ziffer 16 und in den "Zusammenbruch" hinein ertönt ein Signal der 2. und 3. Trompete, "dem sich ab Takt 29 ein Signal der Hörner und ab Takt 232 ein weiteres der 1. Trompete hinzugesellen" (Eggebrecht, Die Musik Gustav Mahlers 89). Mahler bezeichnet diese Passage als "kleinen Appell". Seine Assoziationen deuten in den militärischen Bereich: "Wo die Verwirrung und das Gedränge der erst geordnet ausgezogenen Truppen zu arg wird, versammelt sie ein Machtruf des Kommandanten mit einem Schlage wieder zur alten Ordnung unter seine Fahne" (Bauer-Lechner, zitiert nach Eggebrecht 89). Eggebrecht erläutert:

 

... "wo die Verwirrung und das Gedränge ... zu arg wird" umschreibt die Situation hier: die sich zuspitzende Lage, in die das Signal eingreift; "Machtruf des Kommandanten" bezeichnet den Befehlscharakter des Signals, den Eingriff


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