- 190 -Müßgens, Bernhard: Musik und Angst 
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Partitur fordert) in sie hineinragt, hat nach Eggebrecht den Charakter des "entschiedenen Eingriffs, des Dreinfahrenden" (Eggebrecht, 83). Seine Bedeutung ist, wie an späterer Stelle näher ausgeführt: "Signalisierung in Form eines Eingriffs von außen, des Dreinfahrens in einen traumschönen Zustand (...): Rückruf des Traumschönen in die Wirklichkeit mit Hilfe eines Stücks Wirklichkeitsmusik selbst" (Eggebrecht, 85).

     Die Möglichkeit der Deutung jenes Signals als eines Zitats, das man kennen oder erkennen müßte, um es zu verstehen, verwirft Eggebrecht mit Entschiedenheit. Es fungiert vielmehr als ein Idiom, als eine Art musikalischer Redewendung, deren Bedeutung nicht aus dem Gefüge seiner kleinsten bedeutungstragenden Einheit erschlossen werden kann. Die Bedeutung des Signals verbirgt sich vielmehr hinter der Form des Gebildes und in dem Kontext, in dem es erscheint.

     Verfehlt wären Begriffe wie Collage oder Verfremdung, die auf eine Spannung zwischen der objektiven Funktion des Signals in der äußeren Wirklichkeit und ihrem artifiziellen Zweck an sich selbst abzielen. Den Sprachcharakter von Mahlers Musik erklärt Eggebrecht aus jener Eigentümlichkeit, nach der Mahler die vorkompositorischen, der äußeren Wirklichkeit entnommenen klingenden "Stoffe" so "zur Komposition vermittelt", das ihr umgangssprachliches Moment erhalten bleibt. Andererseits erweist sich an dem für Mahler charakteristischen kompositorischen Verfahren die Kategorie der musikalischen Logik, mithin eine durchaus strukturalistische Analyse musikalischer Kohärenz auf der Ebene der Motivik und Thematik als unzureichend. Das Signal am Ende der Posthornepisode aus dem Scherzo der Dritten Symphonie ist gleichsam "Sand im Getriebe" eines kompositorischen Immanenzzusammenhangs. Der musikalischen Konstruktion stellt Mahler eine "Vorstellungs- oder Imaginationslogik" zur Seite (Eggebrecht, 86). Der motivisch-thematischen Analyse nach bliebe das Signal ohne Folgen. Keineswegs setzt es sich durch Verarbeitung und Entwicklung im weiteren Satzgefüge fest (trotz gewisser thematischer Vorläufer, so am Beginn des Posthornsolos und in dessen Verlauf). Vielmehr durchbricht es jene Konstruktion kraft der Vorstellungslogik, nach der das Signal eine Veränderung ankündigt, die im Scherzo als Rückkehr aus dem Traumschönen zur "geheimnisvollen Hast" tatsächlich erfolgt.

     Nach einem mehrstufigen Interpretationsmodell ("Grundbedeutung", "Formbedeutung", "Kontextbedeutung") deutet Eggebrecht die für Mahlers Musik bedeutsamen Fanfaren; so auch jenes gewaltige, von Adorno als Durchbruch verstandene Signalgetön am Ende der Durchführung des ersten Satzes der Ersten Symphonie:

 

In den A7-Akkord hinein erklingen, fortissimo und vorwärts drängend, in sukzessivem Einsatz drei Signale, je eines von Bläsern gespielt, eine Signalpolyphonie


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