wohl von ihrem Stuhle herab ... und könne sich leicht über ihn herstülpen" (Goethe, Gedichte und Epen 1, 669-670). Max Kommerell wertet Goethes Ballade als "Mythe der kindlichen Angst" (357) und führt weiter aus:
Obwohl wir alle Kinder waren und mit Kindern umgehen, ist uns die Kindheit selbst verschlossen; soviel wissen wir von ihr, daß sie am mythischen und symbolischen Denken einen, freilich vom Kind nicht auszusprechenden und dadurch spurlos vorübergehenden Anteil hat, und daß in jedem einzelnen Menschen, während er Kind ist, längst durchlaufene Entwicklungen wiederholt werden.
(Kommerell, Gedanken über Gedichte 355-356)
1.5 Glocke und Bewegung bei Hölderlin und Henze
Hans Werner Henze, 1926 in Gütersloh geboren, schreibt 1958 in Neapel die Kammermusik für Tenor, Gitarre und acht Soloinstrumente über den Hymnus "In lieblicher Bläue" von Friedrich Hölderlin. In den von Friedrich Beissner herausgegebenen Sämtlichen Werken Hölderlins wird der Text als zweifelhaft eingestuft. Er ist überliefert durch F. W. Waiblingers Roman Phaethon (Zwey Theile, Stuttgart, Verlag von Friedrich Franckh, 1823, Zweither Theil, 153-156). Nach einer Eintragung aus seinem Tagebuch vom 11. August 1822 verwendet Waiblinger für die Schilderung des wahnsinnig gewordenen Bildhauers Phaethon Gedichte des kranken Hölderlin. Zweifelhaft bleibt nach Beissner, ob er Hölderlins Text buchstabengetreu abschreibt, "ob er nicht an einigen Stellen ausschmückend erweitert, ob er nicht auch verschiedene Gedichte kontaminiert" (Hölderlin, Sämtliche Werke 2, 991). Hölderlins Text umfaßt drei etwa gleich lange Teile. Waiblingers Roman zufolge (der als historisch sichere Quelle indessen kaum in Frage kommt) sind die Strophen im Original "abgetheilt wie Verse, nach Pindarischer Weise" (Hölderlin, Sämtliche Werke 2, 991). Der erste Abschnitt beginnt:
In lieblicher Bläue blühet mit dem metallenen Dache der Kirchturm. Den umschwebet Geschrei der Schwalben, den umgiebt die rührendste Bläue. Die Sonne gehet hoch darüber und färbet das Blech, im Winde aber oben stille krähet die Fahne. Wenn einer unter der Gloke dann herabgeht, jene Treppen, ein stilles Leben ist es, weil, wenn abgesondert so sehr die Gestalt ist, die Bildsamkeit herauskommt dann des Menschen. Die Fenster, daraus die Gloken tönen, sind wie Thore an Schönheit. Nemlich, weil noch der Natur nach
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